Wilde Rosen: Roman (German Edition)
Mist! Was machen wir denn jetzt?« May war so wütend, daß sie am liebsten auf der Stelle auf Schleimbeutel losgegangen wäre, doch sie spürte, daß Harriet noch verstörter war als sie, obwohl sie doch schon Zeit gehabt hatte, sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß sie betrogen worden waren.
Als May sah, wie erschüttert ihre Freundin war, sann sie auf etwas Aufmunterndes. »Ich habe heute zweihundert Pfund verdient!« Sie zog den Scheck aus der Tasche. »Und er ist an mich ausgestellt, Schleimbeutel wird nicht einen Penny davon kriegen!«
»Das ist ja wunderbar«, sagte Harriet niedergeschlagen.
»Es bedeutet, daß ich Mike mehr als die hundert geben kann, die er gestern verlangt hat. Und du brauchst dir diese Woche keine Gedanken wegen Miete oder Haushaltsgeld zu machen. Oh, Harriet! Es wird schon wieder. Ich weiß, er ist ein absoluter Scheißkerl, aber wir lassen uns schon was einfallen. Wir können uns andere Jobs suchen ...«
»Ich weiß, aber es ist ja nicht nur wegen Schleimbeutel, obwohl das weiß Gott schlimm genug ist ...«
»Was ist denn noch schiefgelaufen? Was sonst könnte so schlimm sein?«
»Es ist Matthew.«
May hatte auf einmal weiche Knie. Hier saß sie und machte ein Riesentheater, weil sie übers Ohr gehauen worden war, und dabei stand Harriets Sohn vielleicht an der Schwelle des Todes. »Er ist doch nicht krank? Oder ein Unfall?«
Harriet schüttelte den Kopf. »Nein, nein, so schlimm ist es nicht. Aber ich habe ihn seit über einem Monat nicht gesehen.«
Doch hier ging es offenbar um mehr als nur darum, daß Harriet ihren Sohn vermißte. »Und woran liegt das? Wenn das keine dämliche Frage ist. Ist die Schule so weit weg?«
»Nein. Von Waterloo aus nimmt man den Zug, dann läuft man ein Stück oder nimmt ein Taxi.« Harriet hatte den Weg zu Matthews Schule ausgekundschaftet, kaum daß sie in London angekommen war.
»Also? Wo liegt das Problem?«
»Die Schulverwaltung erlaubt nicht, daß ich ihn sehe. Ich habe vorhin angerufen.«
»Was heißt das?« verlangte May entrüstet. »Sie können dich doch nicht hindern! Du bist seine Mutter.«
»Meine Großeltern haben die Schulverwaltung angewiesen, keinen Kontakt zwischen Matthew und mir zuzulassen. Wenn ihre Anweisung nicht befolgt wird, nehmen sie ihn von der Schule. Sie haben dem Schulleiter gesagt, es sei mir zuzutrauen, daß ich Matthew entführe, also dürfe ich nicht in seine Nähe kommen.«
»Aber wie können deine Großeltern so grausam sein? Das gibt’s doch gar nicht.«
»O doch, das gibt es. Anscheinend haben sie ein Verfahren eingeleitet, um Matthew unter gerichtliche Vormundschaft stellen zu lassen, und sie haben strikt verboten, daß ich ihn besuche. Sie haben deutlich betont, daß sie für schlechte Publicity sorgen würden, wenn man ihren Wünschen zuwiderhandelt.«
»Was genau hat man dir in der Schule gesagt?«
»Ich habe mit dem Schulleiter gesprochen. Und er sagte: ›Es tut mir leid, Miss Devonshire, wir haben strikte Anweisung von Mr. und Mrs. Burghley-Rice, daß Sie‹, und er betonte das Sie, ›Matthew unter keinen Umständen besuchen dürfen.‹«
Es war inzwischen beinah drei Uhr morgens, und May war fast schwindelig vor Müdigkeit. Aber ihre Erfindungsgabe hatte heute schon einen guten Trainingslauf gehabt, wenn sie sie nur reaktivieren könnte, würde ihr vielleicht etwas Konstruktives einfallen. Eine ausgiebige Nachtruhe wäre sicher förderlich, aber da sie wußte, daß Harriet kein Auge zutun würde, ehe ihr eine Lösung eingefallen war, ging sie in die Küche und machte sich etwas Heißes zu trinken.
Harriet sagte nichts mehr. Sie hatte ihre Tränen unter Kontrolle, aber jetzt breitete sich die Depression wie eine schwere Decke über ihr aus, drückte sie nieder und machte es ihr unmöglich, auch nur einen positiven Gedanken zu fassen. Als May ihr einen Kakao anbot, winkte sie ab.
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß das gesetzlich ist, weißt du.« May kam in den Salon zurück und balancierte ein Stück Brot mit Butter auf ihrem Kakaobecher. »Eine Schule kann einer Mutter nicht den Kontakt mit ihrem Kind verweigern.«
»Willst du sagen, ich sollte mit einem halben Dutzend Polizisten dort anrücken und seine Herausgabe fordern?«
»Nein, nein. Ich denke nur, es muß einen Ausweg geben, wenn das Gesetz nicht ganz und gar auf ihrer Seite ist.« Sie trank einen Schluck Kakao. »Entschuldige. Ein Rechtsanwalt hat mich nach Hause gefahren, vermutlich kommt mir deswegen das Gesetz in den
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