Wilde Rosen: Roman (German Edition)
nur eine einzige Toilette haben sollte.
Sie borgte sich einen Egoiste-for-men-Deoroller. Ja, hier war eindeutig der Schauplatz der maskulinen Körperhygiene. Das Bad im Obergeschoß war vermutlich rosé oder champagnerfarben und hatte ein Bidet. Also, wer immer vor der Tür stand, sollte sich nach oben verkrümeln und sie gefälligst in Ruhe lassen.
Die Vorstellung, ihre dreckigen Sachen wieder anziehen zu müssen, war scheußlich, zu allem Überfluß hatte sie sie auch noch am Boden liegenlassen, und sie waren naß geworden. Sie tupfte sich mit einem Handtuch ab und zog in Erwägung, Clorindas Kleiderschrank zu plündern. Aber mochten ihre Moralbegriffe auch flexibel sein, davor schreckte sie doch zurück. Außerdem hätten Clorindas Hosen ihr gar nicht gepaßt. Sie rollte ihre Sachen zu einem Bündel zusammen und hatte einen Geistesblitz: sie würde sie in den Trockner stecken. Das würde sie zumindest anwärmen.
Das Gästehandtuch war bei weitem zu knapp, also wickelte May sich in Marcus’ feuchtes Badetuch und trat hinaus, ihr Kleiderbündel an sich gepreßt, ihre Haut zart gerötet und ihre Haare gelockt wie das Vlies eines Lamms. Der Staranwalt wartete vor der Tür und sah mindestens so übellaunig aus wie sein Kartoffelmännchen. May strahlte ihn an. Ihr Gewissen regte sich nicht. Er mochte es eilig haben, aber sie hatte verdientermaßen die Dusche ihres Lebens genossen.
»Tut mir leid, wollten Sie ins Bad?«
»Das im Obergeschoß scheint permanent besetzt zu sein.«
May zuckte die Achseln, eine unüberlegte Reaktion, da sie schließlich nur ein Badetuch trug. Sie zog es mit einem Ruck nach oben und wünschte, sie hätte es sicherer zusammengeknotet.
»Na ja, macht ja nichts. Jetzt bin ich ja fertig.«
Sein Gesichtsausdruck sagte, daß das aber auch höchste Zeit war.
Während der Riegel mit unnötiger Kraft zugeschoben wurde, geriet Mays Badetuch bedenklich ins Rutschen und enthüllte einen Großteil ihrer Rückansicht. Für mich war’s auch höchste Zeit, dachte sie, und zog es mit einem leisen Lachen wieder in Position.
Sie war schon lange wieder trocken und angezogen, als Clorinda und Marcus sie fanden. Sie saß am Küchentisch, hatte den Kopf auf ihre gefalteten Arme gebettet und schlief.
»Meine Güte, es tut mir so leid, Liebes, wir hatten Sie völlig vergessen. Wie furchtbar! Wir rufen sofort ein Taxi.«
May protestierte schlaftrunken, aber Marcus pochte wieder auf seine Hausherrenautorität.
»Es wird nicht leicht sein, um diese Zeit ein Taxi zu kriegen beziehungsweise einen Fahrer, der bereit ist, bis nach Central London zu fahren. Aber ich werd’s versuchen. Ich würde Sie ja bringen, aber ich habe zuviel getrunken.«
Der Staranwalt betrat die Szene. Er war Anfang Dreißig, ziemlich groß, hatte schwarze Haare und noch schwärzere Augenbrauen, und seine Laune hatte sich nicht merklich gebessert, seit May ihn vor der Badezimmertür hatte schmoren lassen. Was zweifellos daran lag, daß er als einziger in dieser weinseligen Gesellschaft stocknüchtern war.
»Wo wohnen Sie?« fragte er May.
»Paddington. In der Ecke jedenfalls.«
»Das ist kein großer Umweg für mich, ich fahre Sie.«
»Hugh, das ist wirklich großartig von Ihnen.« Marcus schien verlegen. »Ich würde sie ja selbst fahren ...«
»Schon gut«, unterbrach May entschlossen. »Ich bin kein Paket, ich kann ohne weiteres die U-Bahn nehmen.«
»Nicht um zwei Uhr morgens, kommt nicht in Frage«, widersprach der Anwalt. »Ich schlage vor, Sie holen Ihren Mantel.«
Als May mit ihrer Lederjacke zurückkam, waren die meisten der überschwenglichen Gute-Nacht-Küsse und Darling-es-war-wunderbar-Beteuerungen schon absolviert. Nur der Anwalt in seinem langen blauen Mantel, der seine Größe betonte und ihm eine beängstigende Ähnlichkeit mit Christopher Lee als Dracula gab, stand noch in der Diele.
Clorinda war anfangs mit dem Plan einverstanden gewesen, doch nach einem Blick auf Hugh legte sie auf einmal ihre Hand auf Mays Arm. »Sie könnten problemlos über Nacht bleiben, wenn Sie lieber nicht ...«
Höflichkeit hinderte sie, den Satz zu vollenden. Sie konnte schlecht fragen, ob es May vielleicht unangenehm sei, zu einem wildfremden Mann ins Auto zu steigen, nicht wenn der fragliche Mann für Marcus’ Karriere so wichtig war.
May lächelte beruhigend. Sie hatte keine hohe Meinung von ihrem Sex-Appeal und war sich darüber hinaus ziemlich sicher, daß sie einen gutplazierten Tritt anbringen konnte, sollte das nötig
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