Wilde Rosen: Roman (German Edition)
ganz sicher, aber sie hatte den Verdacht, daß der Husten, der ihn plötzlich plagte, in Wirklichkeit ein unverschämter Heiterkeitsausbruch war. »Und nicht wie ein Punk, der als Müllmann jobbt, meinen Sie, ja?« erkundigte er sich.
May sah ihn finster an. »Das heißt Entsorgungsfacharbeiter. In einem Wort, ja.«
Hugh lachte leise. »Na ja, ich kann verstehen, daß Sie das gedacht haben, aber tatsächlich hätte mein Bruder den Latzhosen und Doc Martens vermutlich den Vorzug gegeben.«
»Ich werd’ beim nächsten Mal dran denken.« Sie trat nach einem kleinen Hügel aus Herbstblättern und verlor dabei um ein Haar Harriets Schuh.
Es schien, als sollte es ein sehr langer Nachmittag werden.
Kapitel 8
A lso los. Sie brennen doch darauf, sich Harriets traurige Geschichte von der Seele zu reden.«
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Ich bin nicht so wild darauf, Ihnen Harriets Biographie zu erzählen, aber ich meine, Ihr Bruder sollte bestimmte Dinge erfahren.«
»Und zwar? Die unglückliche Kindheit, die ungeliebte Enkeltochter, die einen unehelichen Sohn bekommt, der der Augapfel seiner Urgroßeltern wird? Das ist nicht so ungewöhnlich. Ich glaube, ich weiß das meiste schon.«
May lief ein paar Schritte, um ihn einzuholen. »Aber Sie wissen nicht, daß Harriet nach London gekommen ist, um Künstlerin zu werden.«
»Nein, das wußte ich tatsächlich nicht. Ich lese nicht besonders oft romantische Schmöker.«
Mays Empörung äußerste sich nur als erstickter Klagelaut.
»Aber ich muß gestehen, ich bin nicht überrascht, daß die Großeltern von der Idee nicht besonders angetan waren. Konnte sie nicht irgendwas Vernünftiges lernen? Schreibmaschine, zum Beispiel.«
»Das wollte sie ja. Wenn ihre Großeltern sie gelassen hätten, wäre sie zur Berufsschule gegangen und Sekretärin geworden. Aber sie haben’s ihr verboten. Sie meinten, ihr Platz sei zu Hause, als ihre Dienstmagd, sozusagen.«
»Sklaverei im England des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts?«
»Gibt es! Harriet mußte sich das Tippen selber beibringen, auf einer uralten Reiseschreibmaschine, die sie mal auf dem Trödel gekauft hat ...«
»Ich bin überrascht, daß sie bei der Gelegenheit keinen Roman geschrieben und den Nobelpreis dafür bekommen hat.«
»Wie engstirnig und aufgeblasen Sie doch sind! Harriet arbeitet wie eine Wahnsinnige. Sie ist ... ihr ganzes Leben wie Aschenputtel behandelt worden!«
»Ich hab’ lange kein Märchenbuch mehr angesehen, aber ich könnte schwören, als ich zuletzt nachgelesen habe, hatte Aschenputtel kein uneheliches Kind.«
»Ah ja? Vermutlich ist es der Zensur zum Opfer gefallen.«
»Ich glaube, wir kommen langsam bedenklich weit vom Thema ab.«
»Eigentlich nicht. Weil Harriet all die Jahre geputzt und gekocht und geschrubbt hat, kann sie all das so gut. Und so geriet sie an Schleimbeutel Slater – oder vielleicht sollte ich sagen, Quality Cleaners.«
Er sah sie neugierig an. »Und wie haben Sie Harriet kennengelernt?«
May grinste breit. »Ich bin auch ein Quality Cleaner.«
»Ist das Ihr Ernst? Sie sind Putzfrau?«
»Tja, irgendwann müssen wir alle für unsere Sünden zahlen.«
»Wie kamen Sie dann dazu, bei den Stockbridges das Dinner zu kochen?«
Seitdem war so viel passiert, daß sie den Großteil des vergangenen Abends verdrängt hatte. Jetzt erstanden die Kartoffelmännchen mit ihren Erbsenaugen und Karottenärmchen zu neuem Leben und suchten sie heim. »Das hab’ ich mich auch gefragt.«
Hugh sah alles in allem so aus, als würde er seine Frage gern zurückziehen.
»Ich kam in dem Glauben zu den Stockbridges, daß ich dort zwei Stündchen Staub wischen und saugen sollte. Und dann fand ich heraus, daß man von mir erwartete, für eine Dinnerparty zu kochen.«
»Warum haben Sie nicht in Ihrer Firma angerufen, damit sie jemand anders schicken?«
»Es gibt niemand anders! Harriet, Sally und ich sind die ganze Belegschaft von Quality Cleaners. Abgesehen davon war es eine Herausforderung. Mrs. Stockbridge hatte mir eine Menüfolge aufgeschrieben und wollte mir Geld dalassen, nur das hat sie vergessen. Und da stand ich nun und sollte ein nobles Menü für acht kochen, wo ich nicht mal Spiegeleier braten kann. Aber selbst wenn ich Drei-Sterne-Koch wär’, es gab einfach keine Lebensmittel in diesem Haus, die nicht in Buchstabenform waren. Ich mußte das Beste daraus machen.«
Sie unterbrach sich, um ihm Gelegenheit zu geben, ihr zu sagen, wie fabelhaft sie die
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