Wilde Rosen: Roman (German Edition)
Harriet plapperte, um von irgend etwas abzulenken. »Und was ist mit dir, Harriet? Hast du dich in Leo verliebt?«
Harriet sparte sich die Mühe, May zu fragen, woher sie das wußte. Sie hob lediglich die Schultern. »Warum sollte ich mich nicht in ihn verlieben? Ich bin ohne Vater aufgewachsen, er ist älter als ich und furchtbar nett zu mir und außerdem enorm attraktiv. Natürlich hab’ ich mich in ihn verliebt. Aber ich komm’ schon drüber weg. In meinem Leben ist einfach kein Platz für Liebe.« Doch sie klang nicht überzeugt.
Kapitel 18
S ally bereute ihren Impuls, als sie noch keine zehn Minuten im Auto saßen. Sie hatte Clodagh wie eine alte Freundin begrüßt, die sie mit einem Wedeln der langen Rute belohnte. Aber seither war kaum ein Wort gesprochen worden.
Wie hatte sie nur so dumm sein können, sich ihm aufzudrängen, wo das letzte, was er wollte, war, sie übers Wochenende zu Gast zu haben. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und schloß ihn wieder. Ihr fiel einfach nichts ein. Sie sollte ihm ein paar interessierte Fragen über die Landwirtschaft stellen, aber da sie alles, was sie darüber wußte, von The Archers gelernt hatte, war das ein bißchen riskant. Sie hatte die Radioseifenoper aus dem ländlichen Lancashire seit Wochen nicht gehört.
Und vermutlich würde sie erfrieren. Die Nylons, die sie unter ihrem kurzen Rock trug, waren dick, aber sie boten sicher keinen Schutz gegen den eisigen Wind, der zweifellos von September bis Mai über die Cotswolds fegte. Hätte sie doch nur eine Jeans eingepackt, aber sie hatte sich nicht entsinnen können, in welchem der Plastiksäcke sie waren, und hatte nicht gewagt, sie alle zu durchwühlen, weil sie fürchtete, James könne einfach ohne sie aufbrechen. Inzwischen war sie überzeugt, daß er genau das getan hätte, wenn sie länger als fünf Minuten verschwunden geblieben wäre.
Sie hatte es einfach nicht ausgehalten auf dem Boot. James’ mächtige Gestalt schien einen Ausweg und Geborgenheit zu symbolisieren, die Flucht vor der Enge und Mays schwindender Geduld. Er war so unglaublich freundlich zu ihr gewesen, als er sie aus Piers’ Wohnung errettet hatte, daß sie ihn als ihren Ritter in schimmernder Rüstung betrachtete. Aber sie konnte sich nicht entsinnen, daß er je zuvor ein so schweigsamer Ritter gewesen war.
Sie würde nicht anfangen zu quasseln. Mays Erfahrungen mit Männern im Auto, verbunden mit ihren eigenen, sprachen dafür, daß Männer quasselnde Frauen auf dem Beifahrersitz haßten. Ein bißchen Musik wäre hilfreich, aber selbst nach sechs Monaten mit Piers hatte sie nicht gelernt, den Kassettenrekorder im Wagen zu bedienen. Sie steckte die Kassetten immer verkehrt herum in den Schlitz, mit der Unterseite nach oben oder der Vorderkante nach hinten. Mit einem genervten Seufzer hatte Piers sie ihr dann immer aus der Hand gerissen und sie selbst eingelegt. Natürlich war James ganz anders als Piers – er war praktisch ein Heiliger. Aber vermutlich verloren selbst Heilige die Geduld mit hoffnungslosen Technikmuffeln.
»Hätten Sie gern ein bißchen Musik?« James’ Stimme ließ sie zusammenfahren.
»Ähm ... Sicher, wenn Sie möchten.«
James kramte zwischen den Hüllen, die am Boden des Volvo verstreut lagen. »Van Morrison?«
»Ja, prima.« Sally hätte auch Wagners Ring zugestimmt, wenn James es vorgeschlagen hätte.
Er hielt ihr das Tape hin. »Hier.«
Sally nahm es und senkte beschämt den Kopf. »Es tut mir schrecklich leid, ich weiß, es ist wirklich blöde, aber ich weiß nie ...« Sie hatte ihre gestammelte Entschuldigung erst zur Hälfte herausgebracht, als er sie unterbrach.
»Oh. Verstehe.« Er nahm die Kassette zurück, steckte sie in den unsichtbaren Schlitz, und im nächsten Moment war der Wagen von Musik erfüllt.
Sally sah niedergeschlagen aus dem Fenster auf die Lichter von London, wo der Westway in die A40 überging, und fragte sich, ob sie ihn bitten sollte, sie hier aussteigen zu lassen. Noch konnte sie zum Kanal zurücktrampen. Sie hatte wohl vernehmlich geseufzt, denn James sah zu ihr herüber.
»Es sind nur ungefähr zwei Stunden. Warum machen Sie nicht die Augen zu und schlafen ein bißchen?«
Vermutlich waren alle Männer weltweit gleich, sie taten so ziemlich alles, um zu verhindern, daß sie sich unterhalten mußten.
So zu tun, als schlafe sie, war eine ihrer leichtesten Übungen, aber sie wollte sich nicht vor ihren Beifahrerpflichten drücken. »Soll ich nicht die Straßenkarte
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