Wilde Rosen: Roman (German Edition)
lesen oder so?«
»Seit mein Onkel gestorben ist, bin ich jede Woche mehrmals nach London gefahren. Außerdem ist es fast unmöglich, bei Dunkelheit eine Karte zu lesen. Die Straßenlaternen lassen einen immer im entscheidenden Moment im Stich. Machen Sie’s sich einfach gemütlich und schlummern Sie ein bißchen.«
Sally war fast sicher, daß er nicht sarkastisch war. »Gut.«
Für Piers zu navigieren, war selbst im hellen Tageslicht schwierig gewesen. Sie hatten nur ein paarmal zusammen die Stadt verlassen, um ein Wochenende bei Freunden auf dem Land zu verbringen, aber jedesmal weigerte sich Piers bei ihrer Ankunft, auch nur noch ein Wort mit Sally zu reden. Sobald sie ihn in die Irre geführt hatte, hielt er an, riß ihr den Atlas aus den Fingern, warf einen Blick darauf und knallte ihn zu. Sally konnte dann immer nur beten, daß sie die Seite wiederfand, ehe sie an die nächste Kreuzung kamen.
Sie betrachtete James’ Profil einen Moment, wurde aber mit keinem weiteren Lächeln belohnt. Also schloß sie die Augen und sann darüber nach, wie lange es her war, daß ein Mann sie zuletzt in den Armen gehalten hatte. Viel zu lange, fand sie. Aber das würde sich dieses Wochenende ändern. Wenn sie es nicht schaffte, James in ihr Bett zu locken (oder sich in seines locken zu lassen), würde sie den Männern für immer entsagen und den Schleier nehmen.
Obwohl sie müde war, schlief sie erst ein, als sie schon ins tiefste Gloucestershire vorgedrungen waren. Sie erwachte aus ihrem Fünf-Minuten-Nickerchen, als der Wagen vor einem Gatter hielt.
»Da sind wir«, sagte James.
Sally sah blinzelnd von ihm zum Tor. »Soll ich es öffnen?« Sie kannte sich zumindest so weit aus mit dem Leben auf dem Land, um zu wissen, daß es die Aufgabe des Beifahrers war, alle Tore zu öffnen.
»Sie sollten lieber nicht ...« begann James.
Aber es war schon zu spät. Sally hatte die Tür bereits geöffnet, und einer ihrer Wildlederschuhe mit Goldspange versank in einer tiefen Pfütze. Das war ein schlechter Anfang, und sie machte es noch schlimmer, als sie ans falsche Ende des Gatters trat. Bis auf die Knochen blamiert, machte sie kehrt und stolperte durch die tiefen Furchen ans andere Ende. Gerade als sie erkennen mußte, daß sie den Mechanismus des Schlosses nicht durchschaute, trat James zu ihr.
»Es ist ein bißchen tückisch, wenn man es nicht kennt«, sagte er, hob das Gatter an und tat irgend etwas Schlaues mit einer Feder und einem Hebel, die dazu gemacht schienen, unachtsamen Stadtmenschen die Finger abzuhacken.
Sally stapfte zum Auto, ehe ihr einfiel, daß sie das Gatter wenigstens schließen sollte. Also stapfte sie wieder zurück.
»Einfach fest zuschlagen und dann die Drahtschlinge über den Pfosten legen«, sagte James. Er mußte die Beifahrertür zuziehen, ehe er hindurchfahren konnte.
Sally bewerkstelligte ihre Aufgabe und stieg schließlich wieder in den Volvo. James fuhr weiter, ohne einen Ton zu sagen. Sally konnte nicht sprechen, weil sie so furchtbar zitterte und mit den Zähnen klapperte.
Als sie vor dem Haus hielten, flammten die Außenleuchten auf, und ein ohrenbetäubendes Gebell erhob sich, so daß der Innenhof plötzlich wirkte wie ein Gefängnis unmittelbar nach dem Ausbruch eines Axtmörders. Sally hoffte inständig, daß es sich nicht wirklich um Dobermänner und Bluthunde handelte.
»Die Farmhunde«, erklärte James. »Sie machen einen furchtbaren Radau, aber sie beißen fast nie jemanden.«
»Fast nie«, wiederholte Sally flüsternd. »Toll.«
Inzwischen hätte sie ihren rechten Arm und eine Niere dafür gegeben, sofort nach London zurückgebracht zu werden. Aber es war niemand hier, der sie hätte bringen können. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als auszusteigen.
Immer noch schlotternd, öffnete sie die Wagentür, stellte den Fuß wiederum auf weichen Untergrund – sie hoffte inständig, es handelte sich nur um Morast – und rechnete damit, angefallen zu werden. Ein Collie betrachtete den Fremdling aus der Stadt mit klugen Augen und bellte angriffslustig. Ein weiterer kroch mit dem Bauch am Boden auf Clodagh zu, die James aus dem Auto befreit hatte. Wenigstens zwei weitere Hunde waren in der Nähe, aber sie ignorierten Sally oder knurrten sie lediglich an.
Sally beneidete Clodagh um ihre erhabene Würde, mit der sie zur Tür schritt und das ganze Jaulen und Kläffen um sich herum ignorierte. Sie beschloß, Clodagh zu folgen, ehe sie doch noch gebissen wurde oder zum Eiszapfen
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