Wilde Saat
Woodley?« fragte Okoye. »Was hat er mit uns zu tun?«
»In unserem neuen Land ist es Sitte und Vorschrift, daß Heiratswillige sich vor einem Priester oder Bevollmächti g ten wie Woodley das Heiratsversprechen geben.«
Verstört schüttelte der Junge den Kopf. »Alles ist anders hier. Mein Vater hatte eine Frau für mich ausgesucht, und ich war zufrieden mit ihr. Der Brautpreis war ihrer Familie schon gezahlt worden.«
»Du wirst sie niemals wiedersehen.« Doro sprach mit großem Nachdruck. Ruhig begegnete er dem zornigen Blick des jungen Mannes. »Die Welt ist kein freundlicher Ort, Okoye.«
»Soll ich heiraten, weil du es mir befiehlst?«
Einen Moment lang schwieg Doro. Er ließ den Jungen sich der Unüberlegtheit seiner Worte bewußt werden. Schlie ß lich sagte er: »Wenn ich will, daß du mir gehorchst, wirst du das wissen. Und du wirst gehorchen, mein Junge.«
Nun war es Okoye, der schwieg, nachdenklich und vo l ler Furcht, obwohl er diese Furcht zu verbergen suchte. »Muß ich heiraten?« fragte er nach einer Weile.
»Nein.«
»Sie hat einen Ehemann.«
Doro zuckte die Schultern.
»Was hast du mit uns vor in deinem Land?«
»Nichts Besonderes. Ich werde euch Land und Saatgut geben, und einige meiner Leute werden euch in die L e bensgewohnheiten eurer neuen Heimat einführen. Ihr we r det eure Englischkenntnisse verbessern und vielleicht e t was Holländisch lernen. Ihr werdet dort leben. Doch für das, was ich euch gebe, verla n ge ich eine Gegenleistung, euren Gehorsam. Ich will, daß ihr für mich bereitsteht, s o bald ich einen Auftrag für euch habe – ob morgen oder erst in vierzig Ja h ren.«
»Was sollen wir tun?«
»Das weiß ich jetzt noch nicht. Vielleicht werde ich ein heimatloses Kind in eure Obhut geben. Vielleicht einen schutzlosen Erwachsenen, der Hilfe braucht. Vielleicht werde ich dich als Boten einsetzen, als Verwalter eines Teils meines Vermögens, als Leiter einer meiner Unte r nehmen. Irgend etwas wird es sein.«
»Böses ebenso wie Gutes?«
»Ja.«
»Vielleicht werde ich dann nicht gehorchen. Auch ein Sklave muß manchmal seinen eigenen Vorste l lungen von Gut und Böse folgen.«
»Die Entscheidung liegt bei dir«, erklärte Doro.
»Was wirst du dann tun? Mich töten?«
»Ja.«
Okoye blickte zur Seite, seine Hand berührte die Stelle auf seiner Brust, in die sich das Brandeisen eingegraben hatte. »Ich werde gehorchen«, flüsterte er. Er verstummte, und nach einer Weile fuhr er mit müder Stimme fort: »Ich möchte heiraten. Doch muß der Weiße Mann die Zerem o nie ausführen?«
»Nein. Ich werde es tun.«
Okoye nickte erleichtert.
So geschah es. Doro besaß keine gesetzliche Vol l macht und ließ die notwendigen Eintragungen von John Woodley erledigen. Der Schiffskapitän machte keine Schwierigke i ten, er wußte, wie sehr Doro die Durchführung dieser Ze r emonie am Herzen lag. So wie die Sklaven damit bego n nen hatten, sich an ungewohnte Nahrungsmittel und die Gesel l schaft fremdartiger Menschen zu gewöhnen, so sollte es auch bei der Einführung neuer Bräuche sein.
Es gab keinen Palmwein wie bei einer Vermählung zu Hause in Okoyes Dorf, doch Doro ließ Rum au s schenken, und man aß die wohlbekannten Jamskno l len und andere allerdings weniger bekannte Speisen. Es wurde ein kleines Fest. Zwar fehlten die Verwandten – außer Doro und Anyanwu –, doch nahmen die Sklaven und einige Mitgli e der der Besatzung daran teil. Doro erklärte ihnen in ihrer eig e nen Sprache den Anlaß des Festes, und alle machten mit. Lachend, gestikulierend und durch wortreiche Reden – in der eigenen Sprache oder in mühsamem Englisch – g a ben sie ihrer Freude und Anteilnahme Ausdruck. Oft g e schah das auf eine sehr unmißverstän d liche Weise, so daß Okoye und Udenkwo zwischen Lachen und schamhafter Befangenheit hin und her gerissen wurden. In der woh l tuenden Atmosphäre, die auf dem Schiff herrschte, erholten sich die Sklaven langsam von den bitteren, qualvollen E r fahru n gen, die sie hinter sich hatten. Manche waren aus ihren Dörfern verschleppt worden, oder die eigenen Leute hatten sie an die Sklavenhändler verkauft, weil man sie der Hexerei oder sonstiger Verbrechen beschuldigt hatte. Ma n che wurden schon als Sklaven geboren oder waren nach einem verlorenen Krieg als Gefangene in die Sklaverei g e raten. Sie alle hatten Furchtbares durchlebt während dieser Zeit. Alle ha t ten unvorstellbare Schmerzen und Foltern erlitten. Alle hatten Verwandte
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