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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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len, aber D o ro hatte nein gesagt. Er zog es vor, sie in seiner Nähe zu behalten. Voller Neugierde schaute sie zum Land hinüber auf die Reihen und Reihen von Häusern, meist zwei, drei oder sogar vier Stockwerke hoch und eng neb e neinander aufgereiht. Das Ganze wirkte wie eine Biene n wabe, so als könnten es die Menschen nicht ertragen, v o neinander g e trennt zu leben. In ihrem eigenen Land konnte man mitten in einer Stadt stehen und nichts anderes sehen als Sträucher und Bäume. Die Siedlungen der Stadt waren wohlgeordnet und bestanden meist schon sehr lange, de n noch wirkten, sie eher wie ein Teil des Landes und nicht wie ein Fremdkö r per darin.
    »Wo hört das eine Anwesen auf, und wo fängt das and e re an?« fragte Anyanwu und starrte fassungslos auf die Reihen der spitzgiebeligen Dächer.
    »Manche dieser Häuser dienen nur als Lagerhäuser und Speicher«, klärte Doro sie auf. »Von den and e ren kannst du jedes Haus als eine geschlossene Ei n heit ansehen, in der jedesmal eine Familie wohnt.«
    Ihr Blick irrte umher. »Wo sind die Bauernhöfe, um all diese Menschen zu ernähren?« Ihre Stimme war voller En t setzen.
    »Hinter der Stadt. Auf unserem Weg flußaufwärts we r den wir zahlreiche Farmen sehen. Auch viele Häuser in der Stadt haben ihren eigenen Garten. Und schau dort drüben!« Er wies mit der Hand über die Stadt hinweg, wo die dichte Besiedlung aufhörte und nur noch vereinzelte Häuser zu erkennen waren. »Das ist Farmland.«
    »Es sieht ziemlich leer aus.«
    »Ich glaube, man hat dort Gerste angebaut. Und vie l leicht etwas Hafer.«
    Diese englischen Bezeichnungen waren ihr bekannt, denn Doro und Isaak hatten sie schon mehrmals e r wähnt. Gerste, aus der man Bier machte, das die Mannschaft in großen Mengen trank, und Hafer, der als Futter für die Pferde diente, die von den Menschen dieses Landes als Reittiere benutzt wurden. Dann gab es noch Weizen und Mais, aus denen das Mehl zum Brotbacken gewonnen wu r de, Tabak zum Rauchen, Früchte und Gemüse, Nüsse und Kräuter. Einige dieser Dinge kannte Anyanwu aus ihrer He i mat, anderes dagegen war ihr neu und unbekannt, so wie diese Bienenwabenstadt.
    »Doro, bitte laß mich von Bord, damit ich mir diese Dinge alle anschauen kann«, bat Anyanwu. »Laß mich an Land gehen. Ich möchte endlich einmal wieder festen B o den u n ter den Füßen spüren.«
    Doro legte seinen Arm um ihre Schultern. Er liebte es, sie vor den Augen der anderen zu berühren. Kein anderer Mann vor ihm hatte das so gerne getan wie er. Niemand von seinen Leuten fand dieses Verha l ten lächerlich oder rümpfte die Nase darüber. Sogar die Sklaven schienen alles für selbstverständlich zu halten, was er tat. Und Anyanwu genoß seine Berü h rungen. Auch jetzt, da sie ihrer Meinung eher ein Zeichen der Freiheitsberaubung als der Liebk o sung waren. »Ein andermal werde ich dir die Stadt ze i gen«, versprach er ihr. »Wenn du die Lebensweise dieser Me n schen etwas besser kennengelernt hast, wenn du gelernt hast, dich anzuziehen wie sie und dich zu benehmen wie eine von ihnen und wenn ich zufällig einmal den Körper eines Weißen trage. Ich habe nämlich keine Lust, einem Weißen nach dem anderen klarzumachen, daß ich kein Sklave, sondern mein eigener Herr bin.«
    »Dann sind also alle Schwarzen hier Sklaven?«
    »Die meisten. Die Schwarzen sind verpflichtet, sich als Freie auszuweisen, falls sie es wirklich sind. Ein Schwa r zer, der das nicht kann, gilt als Sklave.«
    Sie krauste die Stirn. »Für was hält man Isaak?«
    »Für einen Weißen. Er weiß, was er ist, aber er wuchs als Weißer auf. Dies ist kein guter Ort für Schwarze. So wie es kein guter Ort für Indianer ist.«
    Einen Augenblick schwieg sie, dann fragte sie angstvoll: »Muß ich eine Weiße werden?«
    »Möchtest du das?« Er blickte fragend auf sie nieder.
    »Nein. Ich denke, mit dir zusammen kann ich ich selbst bleiben.«
    Er schien zufrieden. »Ja, mit mir und meinem Volk kannst du es. Wheatley liegt eine weite Reise von hier en t fernt flußaufwärts. Nur meine Leute leben dort, und sie machen sich nicht gegenseitig zu Skl a ven.«
    »Aber alle sind dein Eigentum?«
    Er zuckte die Achseln. .
    »Gibt es dort Schwarze und Weiße?«
    »Ja.«
    »Dann werde ich dort leben. Ich könnte nie an einem Ort leben, wo alle mich für eine Sklavin halten.«
    »Unsinn«, sagte Doro. »Du bist eine mächtige Frau mit ungewöhnlichen Eigenschaften. Du könntest an jedem Ort leben, den ich für dich

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