Wilde Saat
kannst, Sonnenfrau!«
Dieser alberne Name, dachte sie verzweifelt. Warum nannte er sie so? Er mußte ihn in ihren Gedanken gelesen haben, denn sie hatte den Namen nicht erwähnt. Es war D o ros Name für sie.
Doro lächelte. »Ich hätte nie geglaubt, daß du das in so kurzer Zeit erreichen würdest«, sagte er zu ihr. »Sonst hätte ich dir längst auch meine anderen Kranken gebracht.«
»Ich bin eine Heilerin«, erwiderte sie. Sein Lächeln ha t te sie in Panik versetzt. Thomas war in Gefahr. Das L ä cheln war ein Zähneblecken, kalt und gefühllos. »Ich bin schwa n ger«, sagte sie, obwohl sie es ihm erst in einigen Tagen – oder Wochen – hatte sagen wollen. Aber mit einemmal ve r spürte sie den dringenden Wunsch, ihn von Thomas fortz u locken. Sie kannte Doro. Die Jahre mit ihm waren eine gute Schule gewesen. Er hatte sie einem Mann gegeben, von dem er hoffte, daß er sie abstoßen würde. Sie sollte einsehen, wie gut sie es vorher gehabt hatte. Sein Plan war fehlgeschlagen. Sie hatte auf der Stelle damit b e gonnen, diesem Mann zu helfen, ihn gesund zu machen, so daß er schließlich nichts Abstoßendes mehr an sich haben würde. Die Strafe, die er ihr zugedacht hatte, war unwir k sam geblieben.
»Schon?« sagte Doro scheinbar überrascht. »Dann kö n nen wir ja aufbrechen!«
»Ja.«
Er blickte zur Hütte hinüber, in der Thomas verschwu n den war.
Anyanwu ging um den Wagen herum und faßte Doro bei den Armen. Er trug den Körper eines rundgesic h tigen, sehr jung aussehenden Weißen. »Warum hast du dann diese Vorräte hergeschafft?«
»Du wolltest sie doch«, antwortete er.
»Für ihn. Damit er gesund wird.«
»Und nun willst du ihn verlassen, bevor es soweit ist?«
Thomas trat aus der Hütte und sah die beiden zusa m menstehen. »Stimmt etwas nicht?« fragte er. Anyanwu b e griff später, daß es ihr Gesichtsausdruck gewesen war oder ihre Gedanken, die ihn gewarnt hatten. Wenn er doch auch D o ros Gedanken hätte lesen können!
»Anyanwu möchte nach Hause«, sagte Doro beruh i gend.
Fassungslos und voller Qual schaute Thomas sie an. »Anyanwu?«
Sie wußte nicht, was sie tun sollte, wie sie Doro klarm a chen konnte, daß er sie genug gepeinigt und bestraft hatte. Aber was konnte ihn jetzt noch halten, nachdem er en t schlossen war, aufs neue zu töten?
Sie blickte Doro an. »Ich möchte mit dir fort, noch he u te«, flüsterte sie. »Bitte, laß uns gehen, jetzt s o fort!«
»Nicht sofort«, erklärte er.
Sie schüttelte den Kopf, ihre Stimme klang verzwe i felt, als sie bat: »Doro, was verlangst du von mir. Sag es, ich werde es dir geben!«
Thomas war näher gekommen, den Blick auf Anyanwu gerichtet. Sein Gesichtsausdruck schwan k te zwischen Zorn und Schmerz. Anyanwu wollte ihm zurufen, stehenzuble i ben.
»Ich will, daß du dich erinnerst«, sagte Doro zu ihr. »Inzw i schen scheinst du zu glauben, daß ich es nicht wage, dir etwas anzutun. So zu denken, ist dumm und äußerst gefäh r lich.«
Anyanwu befand sich mitten in einer Heilung. Sie hatte Thomas’ Verachtung über sich ergehen lassen. Sie hatte eine Nacht neben seinem stinkenden Körper ausgehalten. Schließlich war es ihr gelungen, ihn für sich zu gewinnen und mit der Heilung zu begi n nen. Es waren nicht nur die Wunden seines Körpers, an die sie herangeko m men war. Noch nie hatte Doro ihr einen Patienten g e nommen, dessen Heilung noch nicht beendet war, noch nie. Und irgendwie war sie der Überzeugung gewesen, daß er dies auch ni e mals tun werde. Es war für sie so, als bedrohe er eines ihrer Ki n der. Er bedrohte alles, was ihr lieb und teuer war. Er war o f fensichtlich noch nicht fertig mit ihr, und deshalb würde er sie noch nicht töten. Aber sie hatte ihm zu deu t lich gezeigt, daß sie ihn nicht liebte, daß sie ihm nur g e horchte, weil er stärker war als sie. Und er hatte sich b e müßigt gefühlt, ihr seine Überlegenheit wieder einmal deutlich vor Augen zu führen. Und weil ihm sein Plan nicht gelungen war, weil er sie einem gewalttätigen Mann übe r geben hatte, der sie diese Gewalttätigkeit nicht spüren ließ, würde er di e sen Mann töten. Ihr Interesse an Thomas war zu groß gewesen, sie hätte es nicht zeigen dürfen. Und vie l leicht ahnte Doro, wie sehr sie ihn verabscheute. So sehr, daß sie – wie sie zu Thomas gesagt hatte – li e ber mit ihm das Bett teilte als mit Doro. Für einen Mann, der es g e wohnt war, daß man ihm zu Füßen lag, mußte eine solche Erkenntnis ein
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