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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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unsereinen«, sagte der Schafsmann. »Für unsereinen gibt es keinen andern Platz zum Leben. Wo könnte ich hin, wenn man mich von hier vertreiben würde?«
    Der Schafsmann verstummte. Mehr würde ich aus ihm nicht herauslocken können. Ich sah auf das Brennholz in seinem Leinensack: »Damit heizt du im Winter?«
    Der Schafsmann nickte nur.
    »Ich hab gar keinen Rauch gesehen.«
    »Ich heiz noch nich. Erst wenn Schnee liegt. Aber wenn ich dann heize, siehst du auch keinen Rauch. Das geht.« Bei diesen Worten grinste der Schafsmann stolz.
    »Ab wann wird denn Schnee liegen?«
    Der Schafsmann sah zum Himmel, dann blickte er mich an. »Dies Jahr kommt er früher. In zehn Tagen ungefähr.«
    »Der Weg wird also in zehn Tagen vereist sein?«
    »Wahrscheinlich. Keiner kommt mehr hoch, keiner kommt mehr runter. Gute Jahreszeit.«
    »Lebst du schon lange hier?«
    »Schon lange«, sagte der Schafsmann. »Sehr lange.«
    »Wovon ernährst du dich denn?«
    »Farne, Lattich, Nüsse, Eckern, fang auch Vögel, kleine Fische, Krebse.«
    »Frierst du nicht?«
    »Im Winter, sicher.«
    »Wenn du was brauchst, könnte ich dir was abgeben.«
    »Danke. Im Moment brauch ich nix.« Abrupt stand der Schafsmann auf und lief los in Richtung Weide. Ich erhob mich auch und ging ihm nach.
    »Warum hältst du dich eigentlich hier oben so versteckt?«
    »Du darfst aber nich lachen«, sagte der Schafsmann.
    »Ich lache bestimmt nicht«, sagte ich. Ich könnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was er Lustiges zu sagen haben würde.
    »Du sagst es nich weiter?«
    »Ehrenwort.«
    »Ich wollte nich in den Krieg.«
    Eine Weile liefen wir stumm nebeneinander her. Der Kopf des Schafsmanns wackelte neben mir in Schulterhöhe.
    »In welchen Krieg?«, fragte ich.
    »Keine Ahnung.« Der Schafsmann hustete. »Jedenfalls will ich nich in den Krieg. Deshalb bin ich hier, als Schaf. Als Schaf kann ich nich weg.«
    »Kommst du aus Junitaki?«
    »Ja, aber sag das ja nich weiter.«
    »Keine Angst«, sagte ich. »Magst du die Stadt nicht?«
    »Unten die?«
    »Ja.«
    »Nich besonders. Zu viele Soldaten.« Der Schafsmann hustete wieder. »Wo kommst du denn her?«
    »Aus Tokyo.«
    »Was vom Krieg gehört?«
    »Nein, nichts.«
    Damit verlor der Schafsmann sein Interesse an mir. Bis zur Weide sprachen wir kein Wort mehr.
    »Kommst du einen Sprung mit rein?«, lud ich den Schafsmann ein.
    »Muss Vorbereitungen für den Winter treffen«, sagte er. »Viel zu tun. Nächstes Mal wieder.«
    »Ich möchte meinen Freund treffen«, sagte ich. »Ich muss ihn aus bestimmten Gründen innerhalb der nächsten sieben Tage treffen, unbedingt.«
    Der Schafsmann schüttelte traurig den Kopf. Seine Ohren flappten hin und her. »Tut mir leid, aber ich kann da nix machen. Sagte ich schon.«
    »Sag ihm nur Bescheid, das genügt.«
    »Okay«, sagte der Schafsmann.
    »Vielen Dank«, sagte ich.
    Damit trennten wir uns.
    »Vergiss ja nich das Glöckchen, wenn du wieder draußen rumläufst«, rief der Schafsmann noch.
    Dann lief ich geradewegs auf das Haus zu, und der Schafsmann verschwand wie zuvor im östlichen Wald. Zwischen uns lag winterlich still das Grün der Weide.
    * * *
    Am Nachmittag buk ich Brot. Brotbacken leicht gemacht , das Buch, das ich in Rattes Zimmer gefunden hatte, war sehr benutzerfreundlich. Auf dem Umschlag stand: »Sie können lesen? Dann können Sie auch Brot backen! Alle Rezepte gelingen!« Das war nicht zu viel versprochen. Ich folgte genau den Anweisungen, und es gelang. Im ganzen Haus verbreitete sich der würzige Duft von Brot und schuf eine warme, wohlige Atmosphäre. Das Brot schmeckte ziemlich gut, fürs erste Mal. In der Küche lagerte so viel Mehl und Trockenhefe, dass ich mir wenigstens, wenn ich denn hier überwintern müsste, um Brot keine Sorgen zu machen brauchte. Reis und Spaghetti waren auch in rauen Mengen da.
    Zu Abend aß ich Brot mit Eiern und Speck, dazu Salat, und zum Nachtisch Pfirsiche aus der Dose.
    Am nächsten Morgen kochte ich Reis und röstete ihn dann in Butter, mit Dosenlachs, grünem Tang und Pilzen: Pilaf.
    Zu Mittag taute ich aus der Tiefkühltruhe Käsekuchen auf und trank dazu starken Milchtee.
    Am Nachmittag aß ich Haselnusseis mit Cointreau.
    Abends briet ich mir im Ofen ein Hähnchen; dazu gab es Suppe aus der Dose, Campbell’s .
    * * *
    Ich nahm wieder zu.
    * * *
    Am neunten Tag kurz nach Mittag sah ich mir noch einmal die alten Bücher an und entdeckte, dass eines davon offenbar in jüngster Zeit gelesen worden war.

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