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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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spärlicher, der erste Winterwind stahl sich durch die kahlen Zweige und strich südostwärts übers Land. Wenn ich beim Joggen in der Mitte der Weide pausierte, drangen mir die Geräusche des Windes deutlich ans Ohr. Es gibt kein Zurück, schien er zu singen. Der kurze Herbst war unwiderruflich vorbei.
    Aus Bewegungsmangel und da ich nicht mehr rauchte, hatte ich in den ersten drei Tagen zwei Kilo zugenommen, ein Kilo aber dank des Joggens wieder verloren. Ohne Zigaretten auskommen zu müssen fiel mir nicht leicht, aber ohne Tabakladen im Umkreis von dreißig Kilometern gab es nur eins: Durchhalten. Jedes Mal, wenn ich Lust auf eine Zigarette hatte, dachte ich an meine Freundin und ihre Ohren. Verglichen mit dem, was ich schon alles verloren hatte, schien mir der Verlust der Zigaretten dann nicht mehr der Rede wert. Und so war es ja auch.
    Zum Zeitvertreib kochte ich die verschiedensten Gerichte. Einmal im Ofen sogar Roast Beef. Ich taute gefrorenen Lachs auf, schnitt ihn in dünne Scheiben und marinierte sie: Saumon mariné . Da es an frischem Gemüse fehlte, suchte ich die Weide nach essbaren Kräutern ab und kochte sie mit Brühe auf. Ich legte Kohl ein, ein einfaches Kimchi . Für den Fall, dass der Schafsmann kam, bereitete ich eine Reihe von Kleinigkeiten zum Whiskey vor. Aber der Schafsmann tauchte nicht auf.
    Den größten Teil der Nachmittage verbrachte ich damit, auf die Weide zu starren. Wenn ich lange genug hinstarrte, hatte ich jedes Mal die Vision, dass jemand aus dem Birkenwald heraus- und quer über die Weide auf mich zustürzte. Meistens war es der Schafsmann, manchmal auch Ratte oder meine Freundin. Bisweilen auch das Schaf mit dem Stern.
    Tatsächlich aber tauchte niemand auf. Nur der Wind blies über die Weide. Es kam mir so vor, als wäre die Weide eine Passage eigens für den Wind. Er fegte darüber hinweg, als habe er eine schwere Mission zu erfüllen, eilig immer nach vorn, ohne sich umzusehen.
    Am siebten Tag nach meiner Ankunft fiel der erste Schnee. Seit dem Morgen war es an diesem Tag ungewöhnlich windstill gewesen, bleigrau hingen schwere Wolken am Himmel. Nach dem Joggen und Duschen, ich trank gerade Kaffee und hörte Schallplatten, begann es zu schneien. Schwere, längliche Flocken pochten dumpf an die Fensterscheiben. Wind kam auf und wehte den Schnee in schrägen Linien von etwa dreißig Grad mit ziemlicher Geschwindigkeit zu Boden. Eine hübsche Schraffierung wie auf Geschenkpapier, anfangs, als die Flocken noch spärlicher fielen, aber schon bald wurde der Schnee dichter, färbte alles weiß und nahm die Sicht auf den Berg und den Wald. Das war kein Verlegenheitsschnee, wie er bisweilen in Tokyo fällt, das war richtiger, echter Nordlandschnee. Schnee, der alles bedeckt und das Land frieren macht bis ins Mark.
    Schon bald schmerzten mir vom Hinsehen die Augen. Ich zog die Vorhänge zu, setzte mich neben den Ölofen und las. Als die Platte abgelaufen und der Arm mit der Nadel automatisch zurückgeschwenkt war, war alles still, fürchterlich still geradezu. Stille wie nach dem Tod allen Lebens. Ich legte mein Buch beiseite und wanderte ohne besonderen Grund durch das ganze Haus. Vom Wohnzimmer ging ich in die Küche, untersuchte die Kammer, das Bad, die Dusche und den Keller, machte im ersten Stock alle Zimmertüren auf. Es war niemand da. Nur die Stille war in alle Ecken und Winkel gekrochen wie zerlaufendes Fett. Und überall, je nach Größe des Zimmers, schlug sie mir anders entgegen.
    Ich war allein, so allein, wie ich mich noch nie in meinem Leben allein gefühlt hatte. Seit zwei Tagen verspürte ich erstmals wieder unbändige Lust auf eine Zigarette, aber ich hatte natürlich keine.
    Stattdessen trank ich Whiskey pur. Wenn ich so den ganzen Winter durchzumachen hätte, würde ich noch zum Alkoholiker. Allerdings war gar nicht genug Alkohol im Haus, um süchtig zu werden. Drei Flaschen Whiskey, eine Flasche Kognak und zwölf Kartons Dosenbier, das war alles. Ratte hatte bestimmt den gleichen Gedanken gehabt.
    Ob mein Partner wohl noch soff? Ob er es wohl schaffte, klar Schiff zu machen und die Firma, wie geplant, auf das kleine Maß des guten, alten Übersetzungsbüros zurückzustutzen? Wahrscheinlich. Und mit der Zeit würde es auch ohne mich immer besser gehen. Früher oder später wäre es ohnehin so gekommen. Sechs Jahre, und jetzt standen wir beide wieder am Anfang.
    Nach Mittag hörte es auf zu schneien. Der Schnee ließ so plötzlich nach, wie er eingesetzt hatte. Hier

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