Wilde Schafsjagd
Flugblätter dachte.«
»Das nenne ich Weitblick. Aber gab es denn keine Klage auf Vermögenshinterziehung?«
»Mach keine Witze. Der Mann hatte einen Flügel der Konservativen gekauft!«
»Trotzdem«, sagte ich.
»Jedenfalls beherrschte er mit seinem Geld die Politik und die Werbung, und dieses Netz hält heute noch. Der Mann tritt nicht ins Licht der Öffentlichkeit, weil er das gar nicht nötig hat: Wer die Werbebranche und die Regierungspartei in der Hand hat, der hat so gut wie alles in der Hand. Hast du eine Ahnung, was es heißt, Werbung zu unterdrücken?«
»Nein.«
»Werbung unterdrücken heißt, die meisten Verlage und den Rundfunk unterdrücken. Wo nicht geworben wird, wird nicht gedruckt und nicht ausgestrahlt. Programme und Zeitungen ohne Werbung sind wie ein Aquarium ohne Wasser. Fünfundneunzig Prozent der Informationen, die dir unter die Augen kommen, sind vorher schon bezahlt und ausgewählt.«
»Ich verstehe das immer noch nicht«, sagte ich. »Dass der Mann die Medien in der Hand hat, gut, bis dahin kann ich folgen. Aber wieso reicht sein Arm bis zu dem Werbeblatt dieser Versicherungsgesellschaft? Wir haben doch einen direkten Vertrag, das ging über keine große Agentur!«
Mein Partner hustete, dann trank er den lau gewordenen Rest seines Tees aus. »Aktien. Die Kapitalquelle des Mannes sind Aktien. Börsenmanipulationen, Aufkäufe, Übernahmen, Geschäfte dieser Art. Seine Nachrichtenorgane sammeln die nötigen Informationen, und er filtert sie. Nur ein Bruchteil davon gelangt in die Massenmedien, den großen Rest hortet der Alte für sich. Er erpresst auch, natürlich nur indirekt. Wenn das nicht wirkt, gibt er entsprechende Informationen an seine Politiker weiter und lässt die Öl ins Feuer gießen.«
»Wenigstens einen schwachen Punkt hat ja jede Firma.«
»Und welche wollte schon, dass man ihn in der Aktionärsversammlung öffentlich hinausposaunt? Man gehorcht, in der Regel. Politik, Nachrichtenindustrie, Aktien – auf dieser Dreifaltigkeit thront unser Mann. Ein Werbeblatt kaputt- und uns arbeitslos zu machen fällt dem nicht schwerer, als ein hartgekochtes Ei zu pellen. Lass dir das gesagt sein.«
»Hm«, brummte ich. »Aber warum beunruhigt einen so mächtigen Mann eine läppische Landschaftsaufnahme von Hokkaido?«
»Das ist eine gute Frage, in der Tat«, sagte mein Partner ziemlich kühl. »Ich wollte sie dir gerade stellen.«
Wir schwiegen.
»Übrigens, woher wusstest du eigentlich, dass es um Schafe geht?«, sagte mein Partner. »Geht da hinter meinem Rücken etwas vor?«
»Hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen, wird fleißig am Spinnrad gedreht.«
»Kannst du dich vielleicht ein bisschen klarer ausdrücken?«
»Sechster Sinn.«
»Jungejunge«, seufzte mein Partner. »Wie auch immer, lassen wir das. Ich habe den Zeitschriftenreporter, von dem ich eben sprach, angerufen. Es gibt zwei brandneue Informationen: Der Alte hat einen Gehirnschlag erlitten, und es besteht keine Aussicht auf Genesung. Das war die erste, allerdings offiziell noch nicht bestätigt. Die zweite betrifft unseren Besucher. Er ist der Erste Sekretär des Alten, de facto Manager der Organisation, die Nummer zwei also. Japanische Eltern, in Amerika aufgewachsen, Stanford-Abschluss; arbeitet seit zwölf Jahren für den Alten; undurchsichtig, aber absolut fähig und effizient. Mehr konnte ich nicht in Erfahrung bringen.«
»Dankeschön«, sagte ich aufrichtig.
»Keine Ursache«, sagte mein Partner, ohne mich anzusehen.
Solange er nicht zu viel trank, war mein Partner ein korrekter Mensch, weitaus korrekter als ich, ohne Frage. Er war freundlicher als ich, unschuldiger und dachte in klareren Bahnen. Aber früher oder später würde er saufen. Ein bitterer Gedanke: dass viele, die besser sind als ich, noch vor mir den Bach hinuntergehen.
Nachdem mein Partner das Zimmer verlassen hatte, nahm ich seinen Whiskey aus der Schublade und genehmigte mir einen.
4. SCHAFE ZÄHLEN
So wie der launische Frühlingswind den gefiederten Samen der Pflanzen mal hierhin, mal dorthin trägt, lässt sich ziellos durch das Land des Zufalls streifen.
Mit gleichem Recht lässt sich allerdings behaupten, dass so etwas wie Zufall gar nicht existiert. Was geschehen ist, ist ohne Zweifel schon geschehen, was noch nicht geschehen ist, ist ohne Zweifel noch nicht geschehen. Wir leben, mit anderen Worten, im Augenblick, mit dem »Alles« im Rücken und vor uns dem »Nichts«, ohne Zufälle, ohne Möglichkeiten.
In
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