Wilde Schafsjagd
Nur ein Name, vier Schriftzeichen. Die Augen taten einem beim bloßen Hinsehen weh. Mein Partner drehte die Karte um, betrachtete, nachdem er nichts als eine weiße Fläche vorfand, noch einmal die Vorderseite und sah den Mann an.
»Der Name ist Ihnen bekannt, nicht wahr?«, sagte der Mann.
»Ja.«
Der Mann schob seinen Unterkiefer ein paar Millimeter vor und nickte knapp. Seine Blickrichtung veränderte sich dabei nicht. »Verbrennen Sie sie.«
»Verbrennen?« Mein Partner starrte den Mann verblüfft an.
»Vernichten Sie die Karte, jetzt«, sagte der Mann abgehackt.
Mein Partner griff sich eilig das Tischfeuerzeug und hielt die weiße Visitenkarte in die Flamme. Als sie etwa zur Hälfte abgebrannt war, legte er sie in den großen Kristallaschenbecher, und die beiden sahen zu, wie sie sich in weißen Rauch auflöste. Als von der Karte nur noch Asche übrig war, erfüllte drückende Stille wie nach einem Massaker den Raum.
»Ich bin im Auftrag dieser Person hier, mit allen Vollmachten«, begann der Mann nach einer Weile. »Fassen Sie bitte alles, was ich Ihnen mitteile, als den Willen und den Wunsch dieser Person auf.«
»Wunsch …«, sagte mein Partner.
»Wunsch ist das netteste Wort zur Bezeichnung prinzipieller Vorstellungen bezüglich eines bestimmten Zieles. Natürlich kann man das auch anders ausdrücken. Sie wissen, was ich meine?«
Im Kopf übersetzte sich mein Partner den Text des Mannes in klare Sprache. »Ich weiß.«
»Ich spreche jedoch nicht von Begriffen und nicht von Politik, sondern von Business, hundert Prozent Business.«
Der Mann prononcierte das Wort äußerst korrekt: Bisniss . Möglicherweise war er Amerikaner japanischer Abstammung.
»Sie sind Businessman, und ich bin Businessman. Realistisch gesehen haben wir außer Business miteinander nichts zu besprechen. Die unrealistischen Dinge können wir anderen überlassen. Stimmen Sie dem zu?«
»Dem stimme ich zu«, antwortete mein Partner.
»Unsere Aufgabe besteht darin, unrealistische Faktoren zu raffinieren, zu transformieren und auf realen Boden zu stellen. Der Mensch neigt zum Irrealismus. Er glaubt nämlich«, sagte der Mann und befingerte mit der rechten Hand den grünbesteinten Ring am Mittelfinger der linken, »das sei einfacher. Und in gewissen Fällen kann mitunter der Eindruck entstehen, das Irreale habe die Realität bezwungen. Im Irrealen findet jedoch kein Business statt. Wir bilden, kurzum, den Schlag Mensch, der sich am Schwierigen orientiert. Wenn Ihnen«, pausierte der Mann und befingerte noch einmal seinen Ring, »wenn Ihnen also das, was ich mitzuteilen habe, Probleme bereitet oder schwierige Entscheidungen abverlangt, bitte ich um Nachsicht. Es lässt sich nicht umgehen.«
Mein Partner nickte schweigend. Wovon die Rede war, wusste er nicht.
»Dann darf ich Ihnen nun die Wünsche des Herrn mitteilen, den ich vertrete. Erstens: Es wird gewünscht, dass Sie die Werbezeitschrift, die Sie für die Lebensversicherung P herausgeben, unverzüglich einstellen.«
»Aber das …«
»Zweitens«, unterbrach der Mann meinen Partner, »wird um ein persönliches Gespräch mit dem für diese Seite Verantwortlichen gebeten.« Der Mann zog aus der Innentasche seines Jacketts ein weißes Kuvert, entnahm ihm ein doppelt gefaltetes Blatt und überreichte es meinem Partner. Der entfaltete es und sah es sich an. Es handelte sich um die Fotokopie einer zweifellos von uns für die Lebensversicherungsgesellschaft hergestellten Fotoseite. Das Bild zeigte eine gewöhnliche Hokkaidolandschaft – Wolken, Berge, Wiesen und Schafe, versehen mit den Versen eines irgendwoher entlehnten mittelmäßigen Schäferliedes, weiter nichts.
»Das sind unsere beiden Wünsche. Was den ersten angeht, handelt es sich weniger um einen Wunsch als um eine bereits geschaffene Tatsache. Um genau zu sein: Eine unserem Wunsch entsprechende Entscheidung ist bereits gefallen. Falls Sie Zweifel hegen sollten, erkundigen Sie sich bitte nachher telefonisch beim Pressechef der Versicherung.«
»Verstehe«, sagte mein Partner.
»Die Einbußen, die eine Firma Ihrer Größe durch eine Unannehmlichkeit wie diese hinzunehmen hat, müssen enorm sein. Das sich vorzustellen fällt nicht schwer. Glücklicherweise spielen wir – wie auch Ihnen bekannt ist – in der Branche eine nicht unbedeutende Rolle. Wir sind, sofern Sie unserem zweiten Wunsch nachkommen und sofern der betreffende Verantwortliche uns zufrieden stellende Informationen liefert, darauf vorbereitet, Sie
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