Wilde Schafsjagd
er.
»Nicht schlecht«, antwortete ich knapp.
»Wie stehts mit der Ehe?«
»Weiß ich nicht genau. Mit zwei Menschen ist das so ne Sache. Manchmal hat man das Gefühl, alles geht gut, und manchmal eben nicht. Ist das bei einer Ehe nicht immer so?«
»Tja«, sagte Jay und rieb sich mit dem kleinen Finger die Nasenspitze. »Ich hab vergessen, was Ehe ist. Ist schon so lange her.«
»Wie geht’s der Katze?«
»Sie ist vor vier Jahren gestorben. Muss kurz nach deiner Hochzeit gewesen sein. Irgendeine Darmgeschichte … Aber eigentlich war’s das Alter. Sie hat schließlich zwölf Jahre gelebt. Länger als die Zeit mit meiner Frau. Das ist schon was, zwölf Jahre alt zu werden, oder?«
»Klar.«
»In den Bergen oben ist ein Tierfriedhof, da hab ich sie begraben. Von dort aus kann sie auf die Hochhäuser sehen. Egal, wo man hingeht, hier sieht man überall bloß diese Hochhäuser. Aber das ist der Katze vermutlich egal.«
»Du vermisst sie, was?«
»Und wie. Mehr als jeden Menschen. Klingt verrückt, was?«
Ich schüttelte den Kopf.
Während Jay für einen anderen Gast einen komplizierten Cocktail und einen »Kaisersalat« zubereitete, spielte ich mit dem skandinavischen Puzzle, das auf dem Tresen lag. Man musste in einem Glasrahmen ein Bild von drei Schmetterlingen, die über ein Kleefeld flatterten, zusammensetzen. Nachdem ich zehn Minuten hin und her probiert hatte, warf ich das Handtuch.
»Ist noch kein Kind unterwegs?«, fragte Jay, als er zurückkam. »Ihr seid doch gerade im richtigen Alter?«
»Wir wollen keine.«
»Weshalb nicht?«
»Stell dir vor, das Kind wird wie ich – eine Katastrophe!«
Jay musste lachen und goss mir Bier nach. »Du denkst einfach zu viel!«
»Nein, darum gehts nicht. Es geht darum, dass ich nicht sicher bin, ob es wirklich richtig ist, neues Leben in die Welt zu setzen. Kinder werden erwachsen, Generationen lösen sich ab. Und was kommt dabei raus? Die Landschaft wird nur noch weiter platt gewalzt, das Meer weiter zugeschüttet, es werden immer schnellere Autos gebaut und immer mehr Katzen überfahren. Das kommt dabei raus!«
»Das ist nur die eine Seite, die schlechte, aber es geschieht auch Gutes, es gibt auch gute Menschen!«
»Nenn mir drei Beispiele, und ich nehms dir ab!«
Jay dachte eine Weile nach, dann lachte er. »Aber das sind Entscheidungen, die die Generation eurer Kinder treffen muss, nicht ihr. Eure Generation …«
»Hat schon ausgespielt, willst du sagen?«
»In gewissem Sinne ja«, sagte Jay.
»Das Lied ist aus, aber die Melodie schwebt noch im Raum.«
»Hervorragend formuliert – wie immer!«
»Reines Geschwätz, sonst nichts«, sagte ich.
* * *
Als die Bar langsam voll wurde, verabschiedete ich mich von Jay und ging. Es war neun Uhr. Mir spannte noch die Haut von der kalten Rasur. Vielleicht lag es auch am Wodka Lime, den ich als After Shave benutzt hatte. Jay hatte behauptet, Wodka Lime erfülle den gleichen Zweck, aber jetzt roch mein ganzes Gesicht danach.
Die Nacht war seltsam warm, der Himmel nach wie vor dicht bewölkt. Sacht wehte ein feuchter Südwind. Es war wie immer. Der Geruch des Meeres vermischte sich mit der Vorahnung von Regen. Auf allem lag träge Nostalgie. Aus dem Gebüsch unten am Fluss hörte man Insekten. Es sah immer noch nach Regen aus. Wahrscheinlich nieselte es so fein, dass man zwar nicht sagen konnte, ob es nun regnete oder nicht, dass man aber dennoch auf die Dauer bis auf die Haut durchnässt würde. Im bleichen Quecksilberlicht der Straßenlaternen glitt der Fluss dahin. Ein seichter Fluss, er reichte höchstens bis zum Knöchel. Das Wasser war noch so klar wie früher. Es kam direkt aus den Bergen, man konnte es gar nicht verschmutzen. Das Flussbett bestand aus feinem Sand und kleinen Steinen, die aus den Bergen mit heruntergespült wurden. Um den Sand aufzuhalten, hatte man hier und da Stufenfälle geschaffen. Darunter sammelte sich das Wasser in tieferen Stellen, wo kleine Fische schwammen. In der trockenen Jahreszeit wurde das Wasser ganz vom Boden aufgesogen, und es blieb ein heller Sandweg übrig, dem nur noch eine schwache Ahnung von Feuchtigkeit anhaftete. Auf meinen Spaziergängen verfolgte ich diesen Weg flussaufwärts, um die Stelle zu finden, an der der Fluss vom Flussbett aufgesogen wurde: Dort hielt dann das letzte bisschen Rinnsal kurz inne, als ob es etwas entdeckt hätte, und war im nächsten Moment auch schon verschwunden, verschluckt vom dunklen Erdenschlund.
Ich mochte den Weg entlang
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