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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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und T-Shirt. Endlich verschwand das Unbehagen, das mir wie Pech am Körper geklebt hatte; ich fühlte mich gut.
    Meine Freundin kam um zwanzig nach zehn, in der Hand eine Einkaufstüte vom Supermarkt. Sie ging immer spätabends einkaufen. In der Tüte waren drei Scheuerbürsten, eine Schachtel Büroklammern und ein Sechserpack gut gekühlten Dosenbiers. Ich griff wieder zum Bier.
    »Es ging um ein Schaf«, sagte ich.
    »Hab ich doch gesagt«, sagte sie.
    Sie holte eine Dose Würstchen aus dem Kühlschrank und briet die Würstchen in der Pfanne. Ich aß drei, sie aß zwei. Durchs Küchenfenster wehte kühle Abendluft herein.
    Ich erzählte ihr, was sich in der Agentur zugetragen hatte, erzählte von dem Wagen, von dem herrschaftlichen Wohnsitz, von dem merkwürdigen Sekretär, von dem Tumor und von dem gedrungenen Schaf mit der Sternzeichnung auf dem Rücken. Eine ziemlich lange Geschichte. Als ich fertig war, zeigte die Uhr elf.
    »Das war’s«, sagte ich.
    Sie schien nicht erstaunt zu sein. Sie hatte sich, während ich erzählte, die ganze Zeit die Ohren geputzt und sogar ein paar Mal gegähnt.
    »Wann fahren wir los?«
    »Losfahren?«
    »Du musst doch das Schaf suchen, oder?«
    Ich hielt, gerade im Begriff, die zweite Dose Bier aufzureißen, inne und sah zu ihr hoch. »Ich fahre nirgendwohin«, sagte ich.
    »Kriegst du dann keine Schwierigkeiten?«
    »Welche Schwierigkeiten? In der Agentur wollte ich sowieso aufhören, und irgendeine Arbeit fürs tägliche Brot werde ich schon finden; da kann dazwischenfunken, wer will. Ans Leder wird man mir ja wohl nicht gerade gehn.«
    Sie zog ein frisches Wattestäbchen aus der Schachtel und spielte eine Zeit lang damit. »Aber die Sache ist doch ganz einfach. Du brauchst doch bloß das eine Schaf zu finden, oder? Hört sich interessant an!«
    »Bloß ist gut. Hokkaido ist größer, als du denkst, und Schafe gibt’s da Hunderttausende. Wie soll ich da das eine finden? Unmöglich ist das, und wenn es zehnmal einen Stern auf dem Rücken hat!«
    » Fünf tausend.«
    »Fünftausend?«
    »Die Anzahl der Schafe auf Hokkaido. 1947 gab’s da zwar 270 000, aber heute sind es nur noch fünftausend.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Nachdem du gegangen warst, bin ich zur Bibliothek und habe nachgeschlagen.«
    Ich seufzte. »Gibt es eigentlich irgendetwas, was du nicht schon weißt?«
    »Sicher. Vieles. Mehr jedenfalls, als ich weiß.«
    Ich schüttelte den Kopf. Dann machte ich das zweite Bier auf und schenkte es ihr und mir zur Hälfte ein.
    »Jedenfalls gibt es auf Hokkaido nur fünftausend Schafe. So steht es in der regierungsamtlichen Statistik. Na, fühlst du dich jetzt ein bisschen erleichtert?«
    »Das kommt aufs Gleiche raus«, sagte ich. »5000 Schafe, 270000 Schafe, das macht keinen großen Unterschied. Das Problem liegt in der Weite des Landes. Such mal auf Hokkaido ein einzelnes Schaf! Hinzu kommt, es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt.«
    »Du hast doch Anhaltspunkte! Zunächst mal das Foto, und dann ist da ja auch noch dieser Freund von dir. Über einen dieser beiden Wege ergibt sich bestimmt etwas.«
    »Das ist alles zu vage. Landschaften wie auf dem Foto gibt es en masse , und auf Rattes Brief ist der Poststempel nicht mehr zu entziffern.«
    Sie trank ihr Bier. Ich trank meins.
    »Magst du Schafe nicht?«, fragte sie.
    »Doch«, sagte ich. Ich war wieder etwas durcheinander. »Jedenfalls: Ich fahre nicht. So viel steht fest«, sagte ich. Ich sagte es zu mir selbst, aber es klang nicht sehr überzeugend.
    »Wie wär’s mit einem Kaffee?«
    »Gute Idee«, sagte ich.
    Sie räumte die leeren Dosen und die Gläser ab und setzte Wasser auf. Bis das Wasser kochte, hörte sie im Nebenzimmer Kassetten. Johnny Rivers sang erst Midnight Special und Roll Over Beethoven , dann Secret Agent Man . Als das Wasser kochte, schüttete sie den Kaffee auf und sang dabei mit zu Johnny B. Goode . Ich las währenddessen die Abendzeitung. Eine hübsche häusliche Szene. Wenn die Sache mit dem Schaf nicht gewesen wäre, hätte man richtig glücklich sein können.
    Bis die Kassette durch war und der Recorder sich knackend abschaltete, tranken wir wortlos unseren Kaffee und aßen ein paar dünne Kekse. Ich las dabei weiter die Abendzeitung, jeden Artikel zweimal. Berichtet wurde von diesem und jenem, von einem Staatsstreich, von einem Filmschauspieler, der gestorben war, von einer Katze, die Kunststücke aufführte, aber nichts davon hatte mit mir zu tun. Johnny Rivers sang die ganze Zeit

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