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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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man dann Bahnhöfe, Parks und Baseballstadien? Das sind keine Wesen.«
    »Das wäre eine schöne Bescherung, wenn Bahnhöfe keine Namen hätten!«
    »Stop. Das ist die Zweckargumentation. Ich hätte gerne das Prinzip.«
    Der Fahrer dachte ernsthaft nach und übersah, dass die Ampel auf Grün umsprang. Der zum Wohnmobil umgebaute Kleinbus hinter uns ließ seine Liedhupe ertönen. Der Anfang der Glorreichen Sieben .
    »Ich denke, weil sie nicht gegeneinander austauschbar sind. Den Bahnhof Shinjuku zum Beispiel gibt es nur einmal, und er lässt sich nicht durch Shibuya ersetzen. Die beiden wesentlichen Punkte sind also a: keine Austauschbarkeit, b: keine Massenware. Was halten Sie davon ?«, sagte der Fahrer.
    »Ich hätte nichts dagegen, wenn Shinjuku in Ekoda läge«, sagte meine Freundin.
    »Wenn Shinjuku in Ekoda läge, hieße der Bahnhof Ekoda«, konterte der Fahrer.
    »Hätte aber einen Anschluss an die Odakyu-Linie«, sagte meine Freundin.
    »Um noch einmal zum Ausgangspunkt zurückzukommen«, sagte ich. »Was wäre, wenn Bahnhöfe austauschbar wären? Wenn – ich sage wenn – sämtliche Bahnhöfe des gesamten Netzes im Baukastenverfahren hergestellt würden wie irgendein Massenprodukt, wenn sich der Bahnhof Shinjuku durch den Bahnhof Tokyo ersetzen ließe wie ein Ei durch ein anderes?«
    »Ganz einfach. Wenn der Bahnhof in Shinjuku läge, hieße er Bahnhof Shinjuku, wenn er in Tokyo läge, Bahnhof Tokyo.«
    »Das heißt, nicht das Ding wird benannt, sondern die Rolle, die es spielt. Da sind wir wieder bei der Zweckargumentation, oder?«
    Der Fahrer schwieg. Diesmal aber nicht so lange.
    »Ich meine«, sagte er, »sollten wir nicht allen diesen Dingen mit ein wenig mehr Sympathie begegnen?«
    »Das heißt?«
    »Die Städte, die Parks, die Straßen, die Bahnhöfe, die Baseballstadien, die Kinos, sie alle tragen Namen – Namen, die man ihnen gegeben hat als Entschädigung für ihre Fixiertheit an die Erde.«
    Eine neue Theorie.
    »Hm«, sagte ich. »Wenn ich zum Beispiel mein Bewusstsein völlig verlöre und irgendwo unverrückbar erstarrte, bekäme ich also einen tollen Namen?«
    Der Fahrer sah mir via Rückspiegel kurz ins Gesicht. Er verengte die Augen, als ob er eine Falle witterte. »Erstarren, was meinen Sie damit?«
    »Eingefroren werden, in Tiefschlaf versetzt, so etwas. Wie Dornröschen.«
    »Aber Sie haben doch schon einen Namen!«
    »Stimmt«, sagte ich. »Das hatte ich ganz vergessen.«
    Nachdem wir am Flughafenschalter unsere Tickets in Empfang genommen hatten, sagten wir dem Fahrer, der mitgekommen war, Lebewohl. Eigentlich hatte er bis zum Abflug bleiben wollen, zog sich dann aber, da noch über anderthalb Stunden Zeit war, zurück.
    »Ein seltsamer Vogel«, sagte meine Freundin.
    »Ich weiß, wo nur solche rumfliegen«, sagte ich. »Da suchen Kühe Kneifzangen.«
    »Wie auf Unserer Kleinen Farm .«
    »So ungefähr«, sagte ich.
    Wir gingen ins Flughafenrestaurant und nahmen ein frühes Mittagessen ein. Ich bestellte Garnelen au gratin , sie Spaghetti. Mit einer gewissen fatalistisch mahnenden Feierlichkeit landeten und starteten jenseits der Panoramascheibe Jumbos und TriStars. Meine Freundin untersuchte misstrauisch jede Nudel einzeln, bevor sie sie aß.
    »Ich dachte immer, dass es im Flugzeug was zu essen gibt«, sagte sie missmutig.
    »Nein«, sagte ich, kühlte ein bisschen das Stück Gratin, das ich im Mund hatte, schluckte es herunter und spülte gleich mit kaltem Wasser nach. Es war heiß, sonst nichts. Geschmack gleich Null. »Nur auf internationalen Flügen. Bei längeren Inlandsflügen servieren sie manchmal ein Lunchpaket. Schmeckt aber auch nicht besonders.«
    »Filme?«
    »Auch nicht. Bis Sapporo sind’s doch bloß eine Stunde und ein paar Minuten.«
    »Dann wird ja gar nichts geboten!«
    »Nichts, du sagst es. Hinsetzen, Buch lesen, Ankunft am Bestimmungsort. Wie mit dem Bus.«
    »Nur ohne Ampeln.«
    »Genau.«
    »Na großartig«, seufzte meine Freundin. Sie ließ die Hälfte ihrer Spaghetti stehen, legte die Gabel zur Seite und wischte sich mit der Papierserviette um den Mund. »Nicht einmal einen Namen geben sie den Kisten.«
    »Fliegen ist eben langweilig. Es geht allerdings viel schneller. Mit dem Zug dauert’s immerhin zwölf Stunden bis Sapporo.«
    »Wohin geht denn die restliche Zeit?«
    Ich ließ mein Essen auch stehen und bestellte zwei Kaffee. »Welche restliche Zeit?«
    »Du sagst doch, dass das Flugzeug über zehn Stunden spart. Diese gesparte Zeit, wo geht die

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