Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
heimisch.«
    »Wird er das irgendwann tun?«
    »Nach zwei, drei Tagen bestimmt«, sagte ich.
    Vom Spazieren müde, gingen wir ins erstbeste Restaurant, tranken jeder zwei Bier vom Fass und aßen Lachs mit Kartoffeln. Dafür, dass wir aufs Geratewohl hineingegangen waren, schmeckte das Essen gut. Das Bier war ausgezeichnet, und die helle Soße hatte Pfiff; sie war leicht und doch würzig.
    »So«, sagte ich beim Kaffee. »Allmählich müssen wir uns um ein Hotel kümmern.«
    »Ich hab schon eine genaue Vorstellung von unserem Hotel«, sagte sie.
    »Was für eine Vorstellung?«
    »Lies mir erst mal ein paar Hotelnamen vor.«
    Ich ließ mir von dem mürrischen Kellner das Branchenverzeichnis bringen, schlug die Seite mit der Rubrik »Hotels, Gaststätten« auf und begann vorzulesen. Nach ungefähr vierzig Namen rief sie »Stopp!«.
    »Das ist es!«
    »Welches?«
    »Das, was du zuletzt vorgelesen hast.«
    »Dolphin«, wiederholte ich.
    »Was heißt das?«
    »Delfin.«
    »Da übernachten wir.«
    »Hab ich noch nie von gehört.«
    »Das ist es! Da bleiben wir.«
    Ich bedankte mich bei dem Kellner, gab ihm das Telefonbuch zurück und rief im Hotel Delfin an. Es meldete sich die nuschelige Stimme eines Mannes. Er sagte, es seien nur Doppel- und Einzelzimmer frei. Vorsichtshalber fragte ich, was es denn noch für Zimmer gäbe. Andere gab es natürlich nicht. Ich war etwas verwirrt, reservierte aber trotzdem ein Doppelzimmer und fragte nach dem Preis – das Hotel war zirka vierzig Prozent billiger als erwartet.
    Das Delfin lag vom Kino aus drei Straßen westlich und einen Block in südlicher Richtung. Es war klein und unscheinbar. So unscheinbar, dass es schon beinahe wieder einmalig war. Seine Unscheinbarkeit ließ eine Art metaphysische Atmosphäre entstehen. Kein Neonschild, keine große Werbetafel, nicht einmal ein richtiger Eingang. Neben der kargen Glastür, die wie der Boteneingang einer Restaurantküche wirkte, war lediglich eine Kupferplatte mit der Gravur DOLPHIN HOTEL in die Wand eingelassen – selbst auf die nahe liegende Abbildung eines Delfins hatte man verzichtet.
    Das Gebäude hatte fünf Stockwerke, war aber so schlicht gebaut, dass es einer übergroßen, senkrecht stehenden Streichholzschachtel ähnelte. Aus der Nähe betrachtet war es gar nicht so alt, doch heruntergekommen genug, um die Blicke der Leute auf sich zu ziehen. Wahrscheinlich war es schon heruntergekommen, als es gebaut wurde.
    Das war also unser Hotel Delfin .
    Meiner Freundin schien es jedoch vom ersten Augenblick an zu gefallen.
    »Sieht ziemlich gut aus, was?«, sagte sie.
    »Gut?!«, gab ich zurück.
    »Bescheiden, kein überflüssiger Firlefanz.«
    »Überflüssiger Firlefanz!«, erwiderte ich. »Damit meinst du wahrscheinlich saubere Bettlaken, Wasserhähne, die nicht tropfen, eine funktionierende Klimaanlage, weiches Toilettenpapier, ein neues Stück Seife und Vorhänge, die noch nicht verblichen sind!«
    »Du hast aber auch an allem was auszusetzen!«, lachte sie. »Außerdem sind wir nicht hier, um Ferien zu machen.«
    Wir öffneten die Tür. Die Lobby war größer, als ich erwartet hatte. In der Mitte befand sich eine Sitzgruppe mit Couchtisch und ein großer Farbfernseher. Der Fernseher lief – irgendein Quizprogramm –, aber niemand war zu sehen.
    Zu beiden Seiten der Tür standen große Töpfe mit halb verwelkten Blattpflanzen. Ich schloss die Tür, stellte mich zwischen die beiden Pflanzen und schaute mich eine Weile um. Bei genauerem Hinsehen war die Lobby gar nicht so groß, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Sie wirkte nur geräumig, weil so wenige Möbel darin standen. Die Sitzgruppe, eine Standuhr, ein großer Spiegel – das war alles.
    Ich ging zur Wand hinüber und besah mir die Uhr und den Spiegel. Beides waren irgendwelche Firmengeschenke. Die Uhr ging sieben Minuten nach, und bei meinem Spiegelbild saß der Kopf nicht ganz korrekt auf dem Rumpf.
    Die Sitzgruppe war genauso heruntergekommen wie das ganze Hotel. Das Orange des Bezugs war ziemlich befremdlich – die Art Orange, die entsteht, wenn man Stoff lange der Sonne aussetzt, dann eine Woche im Regen liegen lässt und schließlich in den Keller wirft, damit er Schimmel ansetzt. Ein Orange aus der Zeit, als der Farbfilm noch in den Kinderschuhen steckte.
    Als ich näher heranging, sah ich auf dem Sofa einen Mann mittleren Alters mit Halbglatze liegen. Seine Haltung erinnerte an einen Trockenfisch. Zuerst sah es so aus, als ob er tot wäre, aber in

Weitere Kostenlose Bücher