Wilde Schafsjagd
entgegen. Zu alledem hatte er nicht mal einen Namen. Ob das seine Katertragödie milderte oder eher verstärkte, wusste ich nicht.
»Ruhig, ruhig«, sagte der Fahrer zu dem Tier, streckte seine Hand aber vorsichtshalber doch nicht aus. »Wie heißt er denn?«
»Er hat keinen Namen.«
»Wie rufen Sie ihn denn immer?«
»Wir rufen ihn nicht«, sagte ich. »Er ist bloß da.«
»Aber er liegt doch nicht immer steif herum, er bewegt sich doch nach eigenem Willen, oder? Was sich nach eigenem Willen bewegt, sollte einen Namen haben. Das geht doch sonst nicht an!«
»Heringe bewegen sich auch nach ihrem eigenen Willen; trotzdem kommt niemand auf die Idee, ihnen einen Namen zu geben.«
»Heringe pflegen kein freundschaftliches Verhältnis zum Menschen; außerdem würden sie’s nicht verstehen, wenn man sie beim Namen riefe. Aber meinetwegen, Namen geben oder nicht, das kann jeder machen, wie er will.«
»Sie meinen also, dass Tiere, die sich nach freiem Willen bewegen, zum Menschen in freundschaftlichem Verhältnis stehen und außerdem auditive Fähigkeiten besitzen, Anspruch auf einen Namen haben?«
»Genau.« Der Fahrer nickte mehrmals, wie um sich selbst Recht zu geben. »Sagen Sie, hätten Sie etwas dagegen, wenn ich den Kater einfach selbst taufe?«
»Aber nein, keineswegs. Welcher Name schwebt Ihnen denn vor?«
»Wie wär’s mit Bückling ? Ich meine, schließlich ist er wie ein Hering behandelt worden bis jetzt.«
»Nicht schlecht«, sagte ich.
»Nicht wahr?«, sagte der Fahrer stolz.
»Was meinst du?«, fragte ich meine Freundin.
»Nicht schlecht«, sagte sie. »Wie bei der Genesis. Und der Herr schuf Himmel und Erde.«
»Es werde Bückling«, sagte ich.
»Bückling, komm«, sagte der Fahrer und nahm den Kater in die Arme. Der Kater bekam Angst, biss den Fahrer in den Daumen und ließ einen Furz.
Der Fahrer brachte uns mit dem Wagen bis zum Flughafen. Der Kater saß brav auf dem Beifahrersitz. Ab und zu schien er zu furzen, denn der Fahrer ließ von Zeit zu Zeit das Seitenfenster herunter. Ich zählte unterdessen auf, was zu beachten war. Wie die Ohren am besten zu putzen seien, wo man Deodorant fürs Katzenklo kaufen könne, die richtige Futtermenge und so weiter.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte der Fahrer. »Ich kümmere mich um das Tier. Schließlich bin ich sein Taufpate.«
Es herrschte kaum Verkehr. Der Wagen schnellte Richtung Flughafen wie Lachs zur Laichzeit flussauf.
»Warum tauft man eigentlich Schiffe, Flugzeuge aber nicht?«, fragte ich den Fahrer. »Warum nicht ›Maiglöckchen‹ oder ›Gänseblümchen‹ statt ›Flug Nummer 971‹, ›Flug Nummer 326‹?«
»Wahrscheinlich gibt es zu viele, mehr als Schiffe. Das Flugzeug ist Massenware.«
»Das Schiff etwa nicht? Mir scheint, es gibt mehr Schiffe als Flugzeuge.«
»Nun«, sagte der Fahrer. Dann schwieg er ein paar Sekunden. »Man kann ja auch nicht jedem einzelnen Bus in der Stadt einen Namen geben. Allein aus praktischen Gründen.«
»Ich fänd’s toll, wenn jeder Bus einen Namen hätte«, sagte meine Freundin.
»Die Leute würden nur wählerisch werden, meinen Sie nicht? Zum Beispiel würde wohl jeder von Shinjuku nach Sendagaya in eine Antilope steigen, aber wer nähme schon einen Maulesel ?«
»Na, was meinst du?«, fragte ich meine Freundin.
»Mit dem Maulesel würde ich nicht fahren wollen«, sagte sie.
»Aber denken Sie an den armen Busfahrer«, sagte der Fahrer mit Fahrermitleid. »Der Fahrer des Maulesels kann doch für den Namen nichts.«
»Das stimmt«, sagte ich.
»Schon«, sagte meine Freundin. »Aber ich würde trotzdem in die Antilope steigen.«
»Sehn Sie!«, sagte der Fahrer. »Das ist der Punkt! Der Brauch, Schiffe zu taufen, ist ein nostalgisches Überbleibsel aus der Zeit, bevor sie zur Massenware wurden. So wie man Pferden prinzipiell einen Namen gibt. Flugzeuge, die wie Pferde eingesetzt werden, haben deshalb ja auch richtige Namen. Spirit of St. Louis zum Beispiel, oder Enola Gay . Da wird bewusst personifiziert.«
»Es unterliegt dann eine Vorstellung von Leben , nicht wahr?«
»Genau.«
»Und der Zweck wäre demnach hinsichtlich der Namengebung nur von sekundärer Bedeutung?«
»Ganz recht. Zur Erfüllung allein eines Zweckes genügen Nummern. Denken Sie daran, wie man mit den Juden in Auschwitz verfuhr.«
»Interessant«, sagte ich. »Wenn allerdings bei der Namengebung ein Prozess bewusster Personifikation stattfindet, gegründet auf einer Vorstellung von Leben, warum benennt
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