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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Schafe, offensichtlich die neugierigsten, blieben am Zaun stehen, um jede meiner Bewegungen zu beobachten.
    An den schwarzen Ohren, die lang und dünn von den Köpfen abstanden, trugen die Schafe Plastikmarken. Einige hatten blaue, andere gelbe und wieder andere rote Marken. Auch auf dem Rücken waren sie mit großen, farbigen Zeichen markiert.
    Um die Schafe nicht zu erschrecken, bewegte ich mich langsam und möglichst geräuschlos. Ich tat so, als hätte ich nicht das geringste Interesse, näherte mich dem Zaun, streckte vorsichtig die Hand aus und berührte einen jungen Bock. Der zitterte nur erschrocken, lief aber nicht weg. Die anderen Schafe beobachteten uns voller Misstrauen. Der junge Bock stand da wie ein unsicherer, von der ganzen Herde sachte ausgestreckter Fühler. Steif vor Schreck starrte er mich an.
    Suffolks verbreiten eine ganz eigenartige Atmosphäre. Alles an ihnen ist schwarz, nur die Wolle weiß. Die großen Ohren stehen waagerecht ab wie Mottenflügel. Mit ihren blauen Augen und der langen, knochigen Schnauze sehen sie irgendwie exotisch aus. Die Augen leuchteten im Dämmerlicht. Die Schafe lehnten meine Anwesenheit weder ab, noch akzeptierten sie sie. Sie betrachteten mich vielmehr als Schauspiel, dessen Anblick sie zeitweilig ausgesetzt waren. Einige Schafe pissten herzhaft und geräuschvoll. Der Urin floss über den Boden in die Rinne und darin weiter an meinen Füßen vorbei. Die Sonne verschwand gerade hinter den Bergen. Matte Dunkelheit hüllte die Berghänge ein, tiefblau wie sich in Wasser lösende Tinte.
    Ich trat aus dem Stall, kraulte den Border Collie noch einmal und atmete tief durch. Dann ging ich um den Stall herum und über eine kleine Holzbrücke, die über einen Bach führte, auf das Wohnhaus des Verwalters zu: ein adretter kleiner Flachbau, an den sich eine riesige Scheune für Heu und landwirtschaftliche Geräte anschloss. Die Scheune war bedeutend größer als das Haus.
    Der Verwalter schichtete neben einem ein Meter breiten und ein Meter tiefen Betongraben, der neben der Scheune verlief, Plastiksäcke mit Desinfektionsmittel auf. Als ich auf ihn zuging, sah er von weitem einmal kurz zu mir her, zeigte aber kein sonderliches Interesse und setzte seine Arbeit fort. Erst als ich den Graben erreicht hatte, hielt er schließlich in der Arbeit inne und wischte sich mit dem Handtuch, das um seinen Hals hing, den Schweiß aus dem Gesicht.
    »Morgen ist Desinfektionstag«, sagte er. Dann holte er eine zerdrückte Zigarette aus der Tasche seines Arbeitsanzugs, brachte sie mit den Fingern etwas in Form und zündete sie an. »Hier schütten wir die Desinfektionsflüssigkeit hinein und lassen die Schafe eins nach dem anderen durchschwimmen. Sonst kriegen sie während des Winters im Stall alles mögliche Ungeziefer.«
    »Machen Sie das alleine?«
    »Um Gottes willen, nein. Es kommen zwei Männer, die mir und dem Hund helfen. Am meisten schuftet der Hund. Er hat das Vertrauen der Schafe. Das muss er auch, sonst wäre er kein Hütehund.«
    Der Mann war fünf Zentimeter kleiner als ich, aber kräftig gebaut. Er war Ende vierzig, und sein kurz geschnittenes Haar stand kerzengerade wie eine Bürste. Er zog sich die Gummihandschuhe von den Händen, als zöge er Haut ab, schlug sie ein paar Mal auf den Knien aus und stopfte sie dann in die Hosentasche. Er sah eher nach einem Unteroffizier in einem militärischen Ausbildungslager aus als nach einem Schäfer.
    »Sie wollten ein paar Fragen stellen?«
    »Ja.«
    »Na, dann fragen Sie!«
    »Arbeiten Sie schon lange als Schäfer?«
    »Zehn Jahre«, sagte er. »Manche nennen das lang, andere kurz. Über Schafe weiß ich jedenfalls Bescheid. Vorher war ich bei den Streitkräften.«
    Er legte sich das Handtuch wieder um den Hals und sah in den Himmel.
    »Bleiben Sie den ganzen Winter über hier?«
    »Ja«, sagte er, »ich bleibe hier. Erstens weiß ich nicht, wo ich sonst hin sollte, und zweitens gibt es gerade im Winter viel zu tun. In dieser Gegend häuft sich der Schnee fast zwei Meter hoch, und wenn man sich nicht drum kümmert, kommt das Dach runter, und die Schafe sind hin. Gefüttert werden müssen sie auch, und der Stall will gesäubert sein. Das läppert sich zusammen.«
    »Und im Sommer treiben Sie eine Hälfte der Schafe auf die Bergweide?«
    »Ja.«
    »Ist es schwierig, die Schafe hochzutreiben?«
    »Ganz einfach! Das haben die Menschen schon immer gemacht. Dass Schafe an einem festen Ort gezüchtet werden, ist eine ganz neue Entwicklung.

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