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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Leitung frei?«
    »Nichts, kein Ton. Muss irgendwo unterbrochen sein. Bei heftigem Schneefall kommt das schon mal vor.«
    »Es schneit gar nicht.«
    Der Verwalter legte den Kopf in den Nacken und rollte ihn ein paar Mal hin und her. »Fahrn wir mal los, jedenfalls. Wir werden ja sehen.«
    Ich nickte nur. Der Benzingeruch hatte mich ganz benebelt.
    Der Wagen überquerte die Betonbrücke und schlug dann denselben Bergweg ein wie tags zuvor. Als wir an der Weide vorbeifuhren, schauten wir alle drei auf die beiden Masten mit dem Schild. Auf der Weide war es völlig ruhig. Wahrscheinlich beglotzten die Schafe mit ihren blauen Augen ihre eigene Stille.
    »Wann desinfizieren Sie? Heute Nachmittag?«
    »Wenn’s geht. Hat aber keine Eile. Hauptsache, wir werden fertig, bevor der Schnee einsetzt.«
    »Wann setzt er denn so in der Regel ein?«
    »Nächste Woche könnt es schon losgehn«, sagte der Verwalter. Dann hustete er eine Zeit lang, den Kopf nach unten, eine Hand auf dem Lenkrad. »So ab Anfang November bleibt er liegen. Haben Sie schon mal einen Winter hier erlebt?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Wenn der Schnee erst mal liegt, gibt’s kein Halten mehr, wie bei einem Dammbruch. Immer mehr kommt dazu. Dann ist Zapfenstreich, dann können Sie nur noch rein ins Haus und Kopf einziehen. Für Menschen ist das nichts hier.«
    »Und Sie? Sie leben doch schon lange hier, oder?«
    »Weil ich Schafe mag. Gutmütige Tiere sind das, können sich sogar Gesichter merken. Wenn Sie Schafe halten, vergeht ein Jahr wie nichts, immer der gleiche Kreislauf. Im Herbst paaren sie sich, im Winter tragen sie aus, im Frühjahr lammen sie, und im Sommer geht’s auf die Weide. Im Herbst sind die Lämmer groß und paaren sich wieder. Und so fort. Die Schafe wechseln jedes Jahr, nur ich werde älter. Sogar zur Stadt fahren wird lästig.«
    »Was machen die Schafe denn den ganzen Winter?«, fragte meine Freundin.
    Als ob er sie vorher nicht bemerkt hätte, drehte sich der Verwalter, die Hände auf dem Lenkrad, fast ganz zu ihr herum und musterte sie kritisch. Obwohl auf dem schnurgeraden, asphaltierten Weg nicht die Spur eines entgegenkommenden Fahrzeugs zu sehen war, brach mir der kalte Schweiß aus.
    »Im Winter«, sagte der Verwalter, nachdem er sich endlich wieder der Straße zugewandt hatte, »stehen die Schafe im Stall und tun nichts.«
    »Ist denen dann nicht langweilig?«
    »Halten Sie Ihr Leben für langweilig?«
    »Weiß nicht.«
    »Sehn Sie, so geht’s den Schafen auch. Die denken über so was nicht nach, und wenn, würden sie es nicht verstehen. Sie fressen ihr Heu, pissen, streiten ein bisschen herum und denken ansonsten an die ungeborenen Lämmer. So vergeht der Winter.«
    Langsam wurde es steiler, und die Straße begann weite S-Kurven zu beschreiben. Allmählich ließen wir die Felder hinter uns, und dichter Urwald, der sich zu beiden Seiten der Straße wie Felsen emportürmte, beherrschte die Szenerie. Hin und wieder gab eine Lichtung den Blick auf die Ebene frei.
    »Wenn Schnee liegt, kommt man hier mit dem Wagen schon nicht mehr durch«, sagte der Verwalter. »Besteht allerdings auch keine Notwendigkeit dazu.«
    »Gibt’s keine Skilifte oder Bergwanderpfade?« fragte ich.
    »Weder noch. Es gibt nichts. Und weil es nichts gibt, kommen keine Touristen. Die Stadt verfällt deswegen immer schneller. Bis Ende der Fünfziger war ziemlich was los, die Stadt » Model Town für Landwirtschaft im Kälterandgebiet«. Dann kam der Reisüberschuss, und keiner hatte mehr Lust, sich in einem Kühlschrank abzurackern. Kann man ja verstehen.«
    »Was ist denn aus dem Sägewerk geworden?«
    »Hat man verlegt, zu wenig Leute. Ein paar kleine Werke gibt’s noch in der Stadt, aber nichts Besonderes. Das Holz wird gleich vom Berg nach Nayoro oder Asahikawa transportiert. Nur die Straßen werden deshalb immer besser, die Stadt verfällt. Die Riesenlaster ziehen Spikes auf, denen macht eine Schneedecke auf den Straßen nicht viel.«
    Ich hatte mir unbewusst eine Zigarette zwischen die Lippen gesteckt, schob sie aber nun wegen des Benzingeruchs wieder in die Schachtel. Stattdessen lutschte ich ein Zitronenbonbon, das ich noch in der Hosentasche gehabt hatte. Zitronengeschmack mit Benzingeruch.
    »Die Schafe streiten sich, sagten Sie?«, fragte meine Freundin.
    »Schafe streiten dauernd«, sagte der Verwalter. »Sie haben eine genau festgelegte Rangordnung, wie alle Herdentiere. Bei einer Herde von fünfzig Kopf hat jedes seine Nummer, von 1 bis 50. Und

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