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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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und mit dem Wagen bis zur Bergweide fahren.
    »Die Schafe desinfiziere ich nach Mittag, müsste noch hinhauen«, sagte der Verwalter. Eine praktische Seele. »Für eines allerdings kann ich nicht garantieren: Der Regen gestern hat den Boden aufgeweicht. Es könnte sein, dass wir an einer Stelle mit dem Wagen nicht durchkommen. Das ist dann nicht meine Schuld.«
    »Ist in Ordnung«, sagte ich.
    Als ich den Weg bergab wanderte, fiel mir ein, dass Rattes Vater auf Hokkaido ein Landhaus besessen hatte. Ratte hatte früher ein paar Mal davon erzählt. Ein altes, zweistöckiges Haus, auf einem Berg, riesige Schafweide. Die wichtigen Sachen fallen mir immer erst hinterher ein. Es hätte mir gleich auffallen müssen, als der Brief ankam. Die Lage herauszufinden wäre dann ein Kinderspiel gewesen.
    Ich hätte mir in den Arsch beißen können. Schwerfällig trabte ich den immer dunkler werdenden Weg zur Stadt. In den anderthalb Stunden sah ich ganze drei Fahrzeuge: zwei große Laster, die Stämme geladen hatten, und einen kleinen Traktor. Alle drei fuhren bergab, aber keiner hielt, um zu fragen, ob ich mitwollte. Umso besser.
    Als ich nach sieben am Gasthaus ankam, war es schon stockdunkel. Ich fror bis auf die Knochen. Der kleine Schäferhund streckte den Kopf aus seiner Hundehütte und schnüffelte ein paar Mal in meine Richtung. Meine Freundin saß in der Automatenecke am Eingang, völlig in ein Videospiel vertieft. Sie hatte Jeans an und einen von meinen Rollkragenpullovern. Die Automatenecke musste früher mal das Wohnzimmer gewesen sein; den prächtigen Kaminsims hatte man so belassen. Ein Sims für einen richtigen, echten Kamin. In dem Zimmer standen vier Videospielgeräte und zwei Flipper. Billige, alte Maschinen, spanische Modelle, die es nirgendwo mehr gab.
    »Ich sterbe vor Hunger«, sagte meine Freundin, offenbar erschöpft von der Warterei.
    Ich bestellte das Abendessen, sprang schnell ins Bad und stieg beim Abtrocknen nach langer Zeit mal wieder auf die Waage. Sechzig Kilo, wie vor zehn Jahren. Der Speck um die Hüften war in dieser einen Woche spurlos verschwunden.
    Im Zimmer war das Essen schon aufgetragen. Ich langte zu, trank Bier und erzählte dabei von der Schäferei und ihrem Verwalter, dem Ex-Soldaten. Sie bedauerte, die Schafe verpasst zu haben.
    »Immerhin, es sieht so aus, als hätten wir’s bald geschafft, nicht wahr?«
    »Hoffentlich«, sagte ich.

4. DIE VERHEXTE KURVE
    Am Morgen war es frisch, der Himmel grau bewölkt. Ich bemitleidete die Schafe, die an solch einem Tag durch das kalte Desinfektionsmittel gejagt wurden. Vielleicht machten sie sich aber gar keine Gedanken wegen der Kälte. Nein, wahrscheinlich nicht.
    Der kurze Herbst auf Hokkaido ging seinem Ende zu. Die dicken grauen Wolken verhießen Schnee. Der Flug vom septemberlichen Tokyo ins oktoberliche Hokkaido hatte mich fast den gesamten Herbst des Jahres 1978 gekostet. Den Anfang hatte ich erlebt und das Ende; der eigentliche Herbst fehlte.
    Um sechs Uhr stand ich auf, wusch mir das Gesicht, setzte mich allein in den Flur und sah, bis das Frühstück fertig war, auf den Fluss. Er führte weniger Wasser als am Tag zuvor und war völlig klar. Jenseits des anderen Ufers erstreckten sich Reisfelder, soweit das Auge sah; im unsteten Morgenwind beschrieben die vollen Ähren seltsame Wellenlinien. Über die Betonbrücke fuhr ein Traktor auf den Berg zu. Lange trug der Wind das Tuckern des Dieselmotors herüber. Aus dem herbstlich verfärbten Birkenwäldchen flogen zwei Krähen auf, kreisten über dem Fluss und ließen sich dann auf dem Brückengeländer nieder. Die Krähen sahen aus wie Gaffer in einem Avantgarde-Stück. Schließlich hatten sie genug von ihrer Rolle, lösten sich nacheinander vom Geländer und flogen flussaufwärts davon.
    * * *
    Pünktlich um acht Uhr hielt der alte Jeep des Verwalters vor der Herberge. Der Jeep hatte ein kastenförmiges Dach; vermutlich war es ein von den Streitkräften ausgemustertes Stück. Auf der Motorhaube war noch schwach die Nummer der Einheit zu lesen.
    »Komisch«, sagte der Verwalter und sah mich dabei an. »Gestern habe ich vorsichtshalber zur Hütte telefoniert, keine Verbindung.«
    Ich stieg mit meiner Freundin hinten ein. Im Wagen roch es schwach nach Benzin.
    »Wann haben Sie das letzte Mal hochtelefoniert?«, fragte ich.
    »Wann war das, letzten Monat. Um den zwanzigsten rum. Danach nicht wieder. Er ruft meistens selbst an, wenn er was braucht. Lebensmittel und so.«
    »War denn die

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