Wilde Schafsjagd
Davor ist man mit den Schafen ständig umhergezogen. Das Spanien des sechzehnten Jahrhunderts hatte ein ganzes Straßennetz, das nur die Schäfer mit ihren Schafen benutzen durften, niemand sonst, selbst der König nicht.«
Der Mann spie auf den Boden und verrieb den Rotz mit seinen Arbeitsschuhen.
»Schafe sind brave Tiere, jedenfalls solange sie nicht in Panik geraten. Sie laufen immer hinter dem Hund her, ohne zu murren.«
Ich zog das Foto, das Ratte geschickt hatte, aus der Tasche und gab es dem Mann. »Das ist die Bergweide, nicht wahr?«
»Ja«, sagte er. »Ohne Zweifel. Und das sind unsere Schafe.«
»Und was ist mit dem da?« Mit der Spitze des Kugelschreibers deutete ich auf das gedrungene Schaf mit der sternförmigen Zeichnung auf dem Rücken.
Der Mann sah sich das Foto eine Weile an. »Das ist ein anderes Schaf. Keines von unseren. Aber komisch. Es kann gar nicht zu den anderen auf die Weide gekommen sein. Sie ist ganz mit Draht umzäunt, und jeden Morgen und jeden Abend überprüfe ich die Schafe einzeln. Die Hunde würden auch merken, wenn ein fremdes Schaf dazukäme, und die Schafe wären unruhig. Aber das Allermerkwürdigste ist, ein solches Schaf habe ich mein Lebtag noch nicht gesehen.«
»Ist dieses Jahr von Mai an, als Sie die Schafe auf die Weide oben gebracht haben, bis zu dem Zeitpunkt, da Sie sie wieder herunterführten, irgendetwas Ungewöhnliches passiert?«
»Nein, nichts«, sagte der Mann. »Alles war friedlich, wie immer.«
»Außer Ihnen ist niemand sonst im Sommer über auf dem Berg, nicht wahr?«
»Doch, doch. Alle zwei Tage kommt ein Gehilfe aus der Stadt, und manchmal kommt auch ein Beamter zur Inspektion. Einmal in der Woche fahre ich in die Stadt hinunter, so lange passt dann jemand anderes auf die Schafe auf. Es muss ja Nachschub für Futter und den anderen Kram geholt werden.«
»Man kann also nicht sagen, dass Sie den ganzen Sommer alleine da oben sind?«
»Nein, das kann man wirklich nicht behaupten. Solange kein Schnee fällt, braucht man mit dem Jeep nur anderthalb Stunden bis zur Weide. Fast ein Spaziergang! Aber sobald der Schnee liegenbleibt, kommt man mit dem Wagen nicht mehr durch, und dann ist man in der Tat den ganzen Winter da oben eingeschlossen.«
»Jetzt ist niemand oben, oder?«
»Nein, außer dem Besitzer des Landhauses niemand.«
»Der Besitzer des Landhauses? Ich habe gehört, das Landhaus stünde schon lange leer!«
Der Verwalter warf seine Kippe auf den Boden und trat sie aus. »Es stand auch lange leer. Aber jetzt wird es wieder benutzt. Man hätte ohnehin jederzeit dort wohnen können. Um die Instandhaltung des Hauses habe ich mich nämlich die ganze Zeit gekümmert. Strom, Gas, sogar Telefon – alles da. Nicht eine einzige Fensterscheibe ist zerbrochen.«
»Auf der Stadtverwaltung sagte man mir, dort hielte sich niemand auf.«
»Ach, es gibt viel, was die nicht wissen. Unabhängig von meiner Arbeit für die Stadt war ich die ganze Zeit bei dem Besitzer des Landhauses angestellt, aber das geht ja niemanden was an. Außerdem hat er mich gebeten, es nicht weiterzusagen.«
Der Mann wollte eine neue Zigarette aus der Tasche seines Arbeitsanzugs nehmen, aber die Packung war leer. Ich gab ihm meine noch halb volle Packung Lark und faltete einen Zehntausender dazu. Er besah sich Schein und Zigaretten eine Weile, nahm dann beides an, steckte sich eine Lark zwischen die Lippen und verstaute den Rest in seiner Brusttasche. »Vielen Dank auch.«
»Wann ist der Besitzer denn wieder aufgetaucht?«
»Dieses Frühjahr. Die Schneeschmelze hatte noch nicht eingesetzt, muss wohl im März gewesen sein. Das erste Mal wieder seit mindestens fünf Jahren. Warum er ausgerechnet dieses Jahr kam, weiß ich nicht, aber das ist seine Sache, geht mich nichts an. Er wird schon seine Gründe gehabt haben; er hat mich jedenfalls gebeten, keinem Menschen zu verraten, dass er da ist, und ist seitdem die ganze Zeit oben geblieben. Ich kaufe ihm heimlich Lebensmittel, Benzin und so weiter und bringe die Sachen in kleinen Ladungen mit dem Jeep nach oben. Mit den Vorräten, die jetzt oben sind, könnte er ein ganzes Jahr auskommen.«
»Ist der Mann ungefähr so alt wie ich und trägt einen Bart?«
»Ja, das stimmt«, sagte der Verwalter.
»Na, großartig!«, sagte ich. Das Foto konnte ich in der Tasche lassen.
3. NACHT IN JUNITAKI
Dank des Geldes gingen die Verhandlungen mit dem Verwalter zügig voran. Er würde uns um acht Uhr früh am nächsten Morgen abholen
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