Wilde Schafsjagd
einer Stelle, wo sich der Weg um eine Spur verbreiterte, zum Stehen und stellte den Motor ab. Eisige Stille, nur der Wind pfiff übers Land.
Der Verwalter blieb lange so sitzen, wortlos, beide Hände auf dem Lenkrad. Schließlich stieg er aus und stampfte mit seinen schweren Arbeitsschuhen ein paar Mal auf. Ich stieg ebenfalls aus, stellte mich neben ihn und besah mir den Boden.
»Hat keinen Zweck«, sagte der Verwalter. »Ist nasser, als ich dachte.«
So feucht sah der Boden gar nicht aus. Eher trocken sogar, fest.
»Die Feuchte sitzt drunter«, erklärte er. »Der Schein trügt, da fällt jeder drauf rein. ’ne merkwürdige Stelle ist das hier.«
»Merkwürdig?«
Ohne zu antworten, zog er eine Zigarette aus seiner Jackentasche und zündete sie mit einem Streichholz an. »Laufen wir erst mal ein paar Schritte.«
Wir gingen bis zur nächsten Kurve, etwa zweihundert Meter. Ich fror am ganzen Körper. Ich zog den Reißverschluss meiner Windjacke bis zum Kinn zu, aber das Gefühl von Kälte blieb.
An der Kurvenkrümmung blieb der Verwalter stehen und starrte, die Zigarette im Mundwinkel, rechts auf den Felsen. Mitten aus dem Felsen quoll Wasser, formte sich zu einem Bächlein und rann quer über den Weg. Lehm färbte das Wasser bräunlich trüb. Ich strich mit den Fingern über den feuchten Teil des Felsens; das Gestein war poröser, als es aussah, und an der Oberfläche brüchig.
»Eine beschissene Kurve ist das«, sagte der Verwalter. »Der Boden taugt auch nichts. Aber das ist nicht alles. Die ganze Kurve ist, wie soll ich sagen, verhext. Selbst die Schafe werden hier immer scheu.«
Der Verwalter überließ sich eine Weile seinem Husten, dann warf er die Zigarette auf den Boden. »Tut mir leid, aber mit dem Wagen hat’s keinen Sinn.«
Ich nickte.
»Schaffen Sie’s zu Fuß?«
»Das Laufen ist kein Problem. Aber was ist mit den Vibrationen?«
Der Verwalter stampfte noch einmal wuchtig auf. Nach einer winzigen Verzögerung hallte es dumpf. Ein Ton, der mich schaudern machte. »Laufen kann man, das trägt.«
Wir gingen zum Jeep zurück.
»Von hier«, sagte der Verwalter, der neben mir ging, »sind’s noch ungefähr vier Kilometer. Das schaffen Sie in anderthalb Stunden, auch mit der Frau. Verlaufen können Sie sich nicht, und es geht kaum bergan. Tut mir leid, dass ich Sie nicht den ganzen Weg fahren kann.«
»Das macht nichts. Vielen Dank auch.«
»Wollen Sie lange oben bleiben?«
»Weiß ich noch nicht. Vielleicht komm ich morgen schon wieder zurück, vielleicht dauert’s auch eine Woche. Kommt drauf an.«
Er steckte sich wieder eine Zigarette zwischen die Lippen, musste diesmal aber schon vor dem Anzünden husten. »Passen Sie jedenfalls gut auf. Der Schnee scheint dieses Jahr früh zu sein. Wenn erst mal Schnee liegt, kommen Sie hier nicht wieder runter.«
»Ich werd aufpassen«, sagte ich.
»Wenn niemand da sein sollte: Der Schlüssel liegt im Briefkasten am Eingang. Den können Sie benutzen.«
Unter dem trüb bewölkten Himmel luden wir unser Gepäck aus dem Jeep. Ich zog die dünne Windjacke aus und streifte mir einen warmen Bergsteigerparka über den Kopf. Aber selbst der Parka schützte nicht vor der bis in die Knochen dringenden Kälte.
Der Verwalter hatte große Mühe, auf dem engen Weg zu wenden; ständig stieß er an dem Felsen an. Bei jedem Stoß löste sich Geröll und kollerte zu Boden. Als er es endlich geschafft hatte, hupte er einmal und winkte. Wir winkten auch. Dann verschwand der Jeep in der nächsten Kurve. Wir waren völlig allein, wie ausgesetzt am Ende der Welt.
Wir setzten unsere Rucksäcke ab und starrten auf die Landschaft, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Tief unten im Tal schlängelte sich gemächlich ein silbriger Fluss dahin, auf beiden Seiten beschirmt vom dichten Grün der Wälder. Auf der anderen Seite des Tales kräuselten sich niedrige Wellen herbstlich verfärbter Berge, und jenseits lag in leichtem Dunst die Ebene. Hier und da stiegen Rauchsäulen auf: Die Ernte war vorbei, Reisstroh wurde verbrannt. Die Aussicht nahm einem den Atem, stimmte aber, wie lange man auch hinsah, nicht heiter. Alles war kalt, irgendwie ketzerisch sogar.
Der Himmel war völlig verhangen von einer gleichförmigen, dunstiggrauen Wolkendecke. Darunter, dicht über unseren Köpfen und fast zum Greifen nah, zogen schwarze Wolken mit unglaublicher Geschwindigkeit Richtung Osten. Schwere Wolken, die vom chinesischen Festland her das Japanische Meer überquert hatten
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