Wilde Wellen
als Marie zu ihm zurückgekommen war, war nun endgültig verschwunden. Wie hatte er auch nur glauben können, dass es für ihn eine Zukunft mit seiner Tochter gegeben hätte? Das Schicksal vergaà nichts. Es war erbarmungslos. Und er konnte nichts tun, als das anzunehmen.
Als der Beamte die Zelle aufschloss, um Michel in einen Besprechungsraum zu bringen, wo Maître Jumas ihn sprechen wollte, sagte er, er brauche keinen Anwalt. Die Entscheidung war gefallen. Michel war bereit, für sein Unrecht zu büÃen.
Wenn Leon ihm den Anwalt geschickt hatte, weil er Angst hatte, dass Michel mit jeder Stunde, die er in Haft saÃ, verzweifelter werden und ihn am Ende vielleicht mit ins Unglück ziehen würde, so täuschte er sich. Leon hatte all die Jahre nichts von Michel zu fürchten gehabt. Er würde ihn nicht verraten. Wenn er mit seiner Schuld leben konnte, sollte er das tun. Er hatte nie versucht, ihn zu überreden, alles zu gestehen. Es war Leons Sache, wie er mit seiner Schuld zurechtkam. Michel sah keine Veranlassung, den Freund zu verraten. Er konnte sich sicher fühlen. Und Marie? Wollte er zulassen, dass sie damit lebte, einen Mörder zum Vater zu haben? Aber war das nicht der Preis, den er zu zahlen hatte? Es tat ihm weh, wenn er daran dachte, dass Marie ihn verurteilte. Aber sie würde lernen, damit zu leben. Sie würde zurückgehen nach Paris. Und eines Tages würde sie ihn vergessen haben. Es konnte nicht so schwer sein. Hatte sie doch alle die Jahre ohne ihn gelebt. Er würde sich für den Rest seiner Tage an die Erinnerung an diese kurze Zeit, die ihm mit Marie vergönnt war, klammern. Er würde ihre dunklen Augen sehen, die so aufleuchten konnten, wenn sie sich über etwas freute. Er würde ihr Lachen hören. Und ihre warme Stimme, die so sehr der Stimme von Monique glich, der einzigen Frau, die er geliebt hatte. Und die er nicht an seiner Seite hatte halten können. Ja, er war dankbar für diese Zeit mit Marie. Sie hatte angefangen, ihm zu verzeihen. Und, das glaubte er zumindest, sie hatte angefangen, ihn zu lieben. Damit würde er sich zufriedengeben. Eine Zeit der Einsamkeit stand ihm bevor. Eine Zeit der Stille. Und eine Zeit der unendlichen Demut. Es war alles richtig so. Die Zeit der Sühne war für ihn angebrochen. Er würde sie annehmen. Und hoffen, dass ihm eines Tages verziehen werden würde.
Caspar wunderte sich nicht, dass sein Vater den ganzen Tag nicht in der Firma erschien. Er hatte ihm gesagt, dass er Termine auÃerhalb hatte. Vermutlich würde er danach gleich nach Hause fahren. Irgendwie war es merkwürdig. Seit er im Besitz der Million war, hatte Caspar kein Problem, die Tage in der Firma abzusitzen. Er erledigte Telefonate, sprach mit den Vorarbeitern der Fabrik, zeichnete Rechnungen ab. Und setzte sogar endlich die Anzeige auf, mit der sie nach einer neuen Chefsekretärin suchten, die auf die Dauer Célines Job übernehmen sollte. Der Druck war von ihm gewichen. Er war entspannt wie nie. Und er machte alles richtig.
Vielleicht ist doch ein Geschäftsmann an mir verloren gegangen. Vielleicht hat Maman damit recht, dass man an seinen Aufgaben wächst? Möglich war alles. Aber wahrscheinlicher war, dass er nur deshalb so gelassen war, weil das Ende seiner Tage unter den Argusaugen seiner Mutter und dem ewigen Verständnis seines Vaters abzusehen war. Er musste nur noch entscheiden, wo er mit Marie schlieÃlich leben würde. Neuseeland hatte er inzwischen ausgeschlossen. Es war zwar weit genug weg, aber in letzter Zeit hatten immer wieder schwere Erdbeben die Inseln erschüttert. Nicht dass er Angst gehabt hätte, in einem Erdbeben das Leben zu verlieren. Aber dass er sich mit Marie gerade eine Existenz aufgebaut hatte und dann würde durch ein Beben alles in Trümmer gelegt werden â das wollte er nicht riskieren. Aber es gab in der Welt noch einige abgelegene Flecken, auf die sie sich zurückziehen konnten. Und vielleicht würde er sogar seine neu entdeckte unternehmerische Begabung einsetzen können. Vielleicht würden sie ein Hotel haben. Oder eine Surfschule. Oder ein Boot-Charterunternehmen. Es kribbelte in ihm, wenn er sich die vielen Möglichkeiten durch den Kopf gehen lieÃ. Und je mehr er darüber nachdachte, desto spannender sah seine Zukunft aus. Er würde es schaffen. Er würde etwas aus seinem Leben machen. Auf das am Ende sogar seine Mutter stolz
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