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Wilde Wellen

Wilde Wellen

Titel: Wilde Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Sadlo
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verloren.
    Â»Ich kann das nicht fassen.« Sie hielten sich einen Moment umschlungen. Als könnten sie sich über das, was ihrem Vater widerfahren war, trösten.
    Â»Kann ich irgendwas tun?« Eva hatte ihre Rückfahrt nach Frankfurt verschoben. Sie konnte jetzt nicht in ihrem Büro sitzen und sich mit Devisengeschäften auseinandersetzen und so tun, als wäre nichts geschehen. Aber im Atelier ihrer Mutter sitzen und aufs Meer hinausstarren, das ihr die Möglichkeit, sich mit ihrem Vater zu versöhnen, genommen hatte, konnte sie auch nicht. Sie musste etwas tun.
    Â»Ich bin froh, dass du das fragst.« Caspar legte den Arm um seine Schwester. Er würde sie wirklich brauchen können in der Firma. Mit ihrer Erfahrung als Betriebswirtin, ihrem klaren, analytischen Verstand würde sie die Geschäftsführung der Firma weit besser handhaben können als er. Zu Evas Erstaunen klang Caspars Einladung, interimsmäßig die Firma zu leiten, ehrlich. In ihrer Welt kam es nicht so oft vor, dass Männer zugaben, dass sie von einer Aufgabe überfordert waren. Oder dass sie Hilfe brauchten. Schon gar nicht gegenüber Frauen. Aber Caspar schien damit kein Problem zu haben, ihr zu gestehen, dass er im Grunde viel zu wenig Erfahrung hatte, um in Leons große Fußstapfen zu treten.
    Â»Natürlich bleibe ich und helfe dir. Das ist doch keine Frage. Wir werden zusehen, dass in den nächsten Tagen alles so weiterläuft wie bisher.«
    Â»Und dann?« Sie wusste, was er meinte. Was würde geschehen, wenn man Leons Leiche fand? Was würde geschehen, wenn man sie nicht fand? Was würde Eva dann tun? Was würde auf Caspar zukommen?
    Â»Das Wichtigste ist jetzt, dass wir das Ding erst mal zusammenhalten. Dass wir unseren Leuten und unseren Kunden ein Gefühl der Sicherheit und der Kontinuität geben. Und dann werden wir weitersehen. Ich denke, wir werden uns schon einigen. Wenn es wirklich nötig sein sollte.«
    Der Rabe hüpfte über die Terrasse und pickte nach den Samen, die der Herbstwind von den Bäumen geweht hatte und die nun in den Ritzen zwischen den Granitplatten klemmten, mit denen die Terrasse belegt war. Sein schwarzes Gefieder glänzte im Licht der Außenlaternen, die Claire alle hatte anzünden lassen. So als wollte sie Leon in der Nacht den Weg nach Hause weisen. Sie presste die Stirn an das kühle Fensterglas, ihre Augen folgten dem dunklen Vogel. Totenvogel, sagten die Leute. Vogel der Weisheit hatte Leon immer gesagt, als sie ihm erzählte, dass sie die Raben nicht leiden konnte. Jetzt hob der Vogel den Kopf. Legte ihn schief und blickte mit seinen Stecknadelaugen einen Moment lang zu Claire hin. Ob er sie sehen konnte hinter dem Fenster? Sie trat einen Schritt zurück. Der Gedanke, von dem Tier beobachtet zu werden, war ihr unangenehm. Céline hätte in diesem Augenblick gesagt, dass der Rabe ihr eine Botschaft von Leon bringen würde. Aber sie war nicht wie Céline. Sie glaubte nicht an diesen übersinnlichen Quatsch. Glaubte nicht an eine Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten. Die Grenze, die der Tod setzte, war ihrer Meinung nach endgültig. Wer sie überschritten hatte, kehrte nicht mehr zurück. Sein Leben war zu Ende, die Tatsache seiner Existenz würde im Nebel der Geschichte verblassen. Es kam doch nicht von ungefähr, dass die Überlebenden, die Nachkommen in schierer Verzweiflung ihren Toten Grabmale setzten. Die noch lange an sie erinnern sollte. Denn jeder, der schon einmal einen Menschen verloren hatte, wusste doch, wie schnell es ging, dass man sich nicht mehr an sein Gesicht erinnern konnte. An seine Stimme. An seine Berührung. Als ihr Vater damals mit der Helena untergegangen war, hatte es kaum ein Jahr gedauert, bis sie sich nur noch an ihn erinnern konnte, wenn sie ein Foto oder ein Video von ihm sah. Nicht dass es sie sehr geschmerzt hatte. Im Geheimen war sie ja froh gewesen, dass dieser Mann aus ihrem Leben verschwunden war. Doch trotzdem war ihr klar geworden, wie schnell es ging, dass ein Mensch nicht mehr präsent war. Würde es ihr mit Leon auch so gehen? Sie wollte den Gedanken wegwischen. Wieso sollte sie darüber nachdenken, wie lange sie sich an Leon nach seinem Tod erinnern würde? Er war ja nicht tot. Er konnte einfach nicht tot sein. Ein Mann wie Leon konnte sich nicht einfach so durch die Hintertür verabschieden.
    Â»Maman. Wie geht es dir? Ich habe Eva

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