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Wilde Wellen

Wilde Wellen

Titel: Wilde Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Sadlo
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warmes Gefühl des Nachhausekommens. In ihr kleines, sicheres Reich. Das jetzt in vollkommener Dunkelheit da lag. Die Furcht, die sie einen Moment beschlich, schüttelte sie sofort ab. Wahrscheinlich war mal wieder eine Sicherung durchgeknallt, weil zu viele Lampen brannten. Sie hatte sich schon oft vorgenommen, einmal alle Leitungen in dem Haus von einem Elektriker prüfen zu lassen. Sie würde das wirklich bald in Angriff nehmen. Jetzt musste sie sich erst einmal durch den dunklen Raum zum Sicherungskasten vortasten. Sie schob sich vorsichtig in den Raum. Überall standen Farbtöpfe und leere Rahmen herum, dort eine alte Vase, in die sie schon lange keine Blumen mehr tat, weil sie leckte, hier der kleine Tisch, auf dem das Telefon stand. Und da vor dem Tisch …
    Sabines Atem stockte, als sich aus dem Sessel, den sie von ihrer Mutter geerbte hatte, eine Gestalt erhob. Ihre Stimme versagte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
    Â»Bitte erschrick nicht, Sabine. Ich bin es.«
    Leon? Das war Leons Stimme. Aber das war vollkommen unmöglich. Sie musste sich das einbilden. Wer war der Fremde, der da vor ihr stand?
    Â»Ich habe das Licht ausgemacht, weil ich nicht wollte, dass mich jemand hier sieht.«
    Es war wirklich Leon!
    Â»Leon! Oh mein Gott. Leon, du lebst.« Ihre Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, und sie erkannte den Mann, den alle Welt für tot hielt.
    Â»Wo bist du gewesen? Weißt du, dass alle sich furchtbare Sorgen um dich machen? Claire und Caspar sind außer sich. Und Eva erstickt fast an ihrem Kummer.«
    Wie schlecht er aussah mit seinem grauen Dreitagebart. Und wie furchtbar dünn in diesem merkwürdigen blauen Arbeitsoverall, der ihm viel zu groß war. Ihre Worte überschlugen sich. Es gab so viel zu fragen. Was war passiert? Wo war er gewesen? Wie ging es ihm überhaupt? Und, vor allem: Wusste seine Familie schon Bescheid, dass er lebte?
    Sie griff zum Telefon. Wollte Claire anrufen. Caspar Bescheid sagen.
    Â»Sie werden überglücklich sein, dich wiederzuhaben.«
    Doch Leon hielt ihre Hand fest.
    Â»Nicht.«
    Sie verstand ihn nicht. Was meinte er? Dass sie Claire nicht anrufen sollte?
    Â»Ich bin einen Tag im Meer getrieben. Dann hat mich ein Fischer aufgenommen. Er wollte sofort der Polizei Bescheid sagen, aber …«
    Â»Du wolltest nicht, dass wir erfahren, dass du überlebt hast? Du wolltest uns alle im Ungewissen lassen? Wie konntest du so etwas tun?«
    Die Wut, die in ihr aufstieg, kollidierte mit der unfassbaren Erleichterung darüber, dass er noch lebte. Und brach sich sofort im Unverständnis über sein Verhalten. Sie starrte ihn an. Und sie erkannte den leeren Blick eines Verlorenen. Plötzlich war alles unwichtig. Sie umarmte ihn. Hielt ihn einfach fest. Sie hielt diesen Mann, den sie immer nur als stark und entschlossen gekannt hatte, fest und spürte, wie ein heftiges Zittern seinen mager gewordenen Körper schüttelte. Mitgefühl überwältigte sie. Dieser Mann musste Furchtbares erlebt haben. Und ihr fiel nichts anders ein, als ihn zu beschimpfen.
    Â»Was ist mit dir? Was ist dir passiert? Sag es mir, Leon.«
    Seine Stimme war grau, als er ihr von dem Unfall erzählte. Wie er in den Sturm gekommen war. Wie er verzweifelt versucht hatte, das Schiff gegen die gewaltigen Brecher zu steuern, wie es schließlich kenterte und er, kurz bevor die Yacht unterzugehen drohte, in die schäumende schwarze Dunkelheit gesprungen war.
    Â»Ich dachte, das wäre das Ende. Und, weißt du, einen Moment lang war es mir, als wäre das richtig. Ich wollte mich ergeben. Wollte, dass das Meer mich holt. Es schien so einfach. Und so richtig.« Aber da war etwas in ihm gewesen, das stärker war. War es schierer Lebenswille? Auf jeden Fall hatte er zu kämpfen begonnen. Hatte es nicht zulassen wollen, dass das Meer ihn verschlang.
    Â»Und du hast es wirklich geschafft. Das ist ein Wunder, Leon. Anders kann man das nicht nennen. Ein wirkliches Wunder.« Sie wollte ihn ins Auto packen und zum Schloss bringen. Was sollte sie auch anderes tun? Leon lebte. Seine Familie musste das erfahren.
    Â»Noch nicht. Ich kann ihnen noch nicht gegenübertreten.«
    Aber wieso nicht? Sabine verstand nicht, was in Leon vorging. Wieso wollte er nicht, dass Claire und Caspar und Eva erfuhren, dass er am Leben war?
    Â»Ich war bereit zu sterben. Es wäre so einfach gewesen, nicht mehr dazu sein.

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