Wilde Wellen
eine angemessene Musik sorgen, die an diesem Abend gespielt werden sollte. Hauptsache, Claire schöpfte keinen Verdacht, was seine wahren Pläne anging. Er bestärkte sie darin, die Feier so bald wie möglich zu veranstalten. Denn je eher sie stattfand, desto eher würde er sich aufmachen können.
Noch heute würde er mit Marie reden. Vielleicht hatte sie ja Zeit, mit ihm nach Brest zu kommen und sich die Yacht anzusehen? Ob sie ihr wirklich gefallen würde? Oder sollte er doch noch diese beigen Polster und Vorhänge austauschen lassen. Vielleicht gegen ein frisches Blau? Oder ein dunkles Rot? Was war eigentlich Maries Lieblingsfarbe? Er würde sie fragen. Sobald er sie sah, würde er herausbekommen, was ihr gefiel. Und endlich auch, wo sie sich hin sehnte. Denn noch immer hatte er nicht entschieden, wo er schlieÃlich mit ihr seine Zelte aufschlagen würde.
4
Sabine hatte nicht erwartet, dass sie so traurig sein würde. Sie war schon so lange von Leon geschieden. Wie kam es also, dass die Nachricht von seinem Unfall sie so unglaublich tief treffen konnte? Es war nicht nur das Mitgefühl mit Eva, die nun keine Chance mehr haben würde, sich mit ihrem Vater auszusprechen, das ihr das Herz so schwer machte. Es war ein tiefer, dunkler Schmerz, der sich in ihr Herz bohrte. Sicher, es hatte eine Zeit gegeben, in der sie diesen Mann geliebt hatte. Er war ihre erste groÃe Liebe gewesen. Er war der Vater ihres einzigen Kindes. Aber er war auch der Mann, den sie verlassen hatte, als ihr bewusst wurde, wie sehr er sich von ihr entfernte. Als Leon sich nach dem Untergang der Helena mit einer wahnsinnigen Energie in den Aufbau seines neuen Unternehmens gestürzt hatte, als er jede Stunde des Tages und der Nacht damit verbracht hatte, neue Pläne und Strategien zu entwickeln, hatte sie gespürt, dass sie und auch ihre Tochter keinen Platz mehr in seinem Leben hatten. Und sie hatte begriffen, dass es besser für sie war, einen Schlussstrich zu ziehen und ein eigenes Leben aufzubauen. Sie hatte diesen Schritt nie bereut. Zumal er in ihr Kräfte frei gesetzt hatte, von denen sie nichts geahnt hatte. Wenn sie Leon nicht verlassen hätte, hätte sie es niemals gewagt, aus der Malerei, die sie bis dahin nur als Hobby betrieben hatte, einen Beruf zu machen. Sie hätte die Lust und die Freude, die sie heute bei jedem Bild, das sie malte, empfand, nie kennengelernt. Und auch nicht das jubelnde Glücksgefühl, das sie hatte, wenn sie merkte, dass ihre Bilder die Betrachter wirklich ansprachen. Ihnen etwas sagten. Sie war ihren Weg gegangen. Selbstbewusst und erfolgreich. Ausgefüllt von ihrer Kunst. Aber nun stand sie vor der weiÃen Leinwand, und sie fühlte sich leer. Zum ersten Mal seit langer Zeit wollte ihr nicht einfallen, was sie malen konnte. Sicher, da war dieser erste Impuls gewesen, die Gefühle, die sie überwältigten, in ein Bild umzusetzen, doch jetzt war da nichts. Nur eine graue Leere. Vielleicht wenn sie mit Eva geredet hätte? Vielleicht hätte sich die Trauer auflösen lassen in Kreativität. Aber Eva war zu Claire und Caspar ins Schloss gezogen. Sabine hatte das befürwortet. Sie konnte sich vorstellen, wie verzweifelt Claire und vor allem Caspar sein musste; da war es nur richtig, dass Eva zu ihnen rückte. Sie würde Caspar in seiner Trauer stützen können. Und wer weiÃ, vielleicht war das auch der Moment, in dem sie Claire endlich verzeihen konnte. Dass sie ihr den Vater weggenommen hatte, wie Eva nie aufgehört hatte zu denken.
Sie zuckte zusammen, als das Telefon die Stille im Atelier zerriss. Und noch mehr erschrak sie, als Eva ihr mitteilte, dass Claire sie zu einer Feier zu Leons Gedenken einladen wollte.
»Eine Trauerfeier? Ist das nicht zu früh? Man hat doch Leons Leichnam noch nicht einmal gefunden?«
Sabine starrte aus dem Fenster auf das Meer, das sich in der Dunkelheit der Neumondnacht nur ahnen lieÃ. Sie öffnete die Tür. Der Wind trug das Rauschen der Wellen herein. Natürlich war es richtig, Leons Tod zu akzeptieren. Es konnte nichts Schlimmeres geben, als Wochen und Monate, vielleicht sogar Jahre, im Ungewissen bleiben zu müssen. Immer zu warten. Immer zu hoffen. Und doch tief in sich zu wissen, dass alles Warten vergebens war. Aber hatte Eva nicht erzählt, dass Claire sich weigerte, Leons Tod zu akzeptieren? Dass sie sich mit aller Kraft an die winzige Hoffnung klammerte, dass er es
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