Wilde Wellen
fast das Herz, als sie Paul auf der StraÃe knien sah. Neben dem Leichnam seiner Mutter. Sein Gesicht schien eingefallen, sein Blick war leer. Seine rechte Hand hielt Célines. Merlin lag dicht neben seiner toten Herrin. Ein hohes, schrilles Wimmern drang aus seiner Kehle. Zuckende Blaulichter von Polizeiautos und dem gerade ankommenden Krankenwagen zerrissen die Dunkelheit. Der Sturm hatte sich gelegt, der Regen aufgehört. Nur die StraÃe glänzte noch nass. In respektvollem Abstand stand eine Gruppe Menschen da. Der Schreck war ihnen anzusehen.
Marie sah beklommen, wie Paul sich jetzt erhob und wie betäubt an dem Arzt und der Krankenwagenbesatzung vorbeiging, die eilig auf Céline zustürzten. Doch sie hatten nicht mit dem Hund gerechnet. Merlin stand plötzlich auf. Ein drohendes Knurren zerriss die Stille, die sich auf die Szene gelegt hatte. Der Arzt streckte die Hand nach dem Hund aus.
»Ruhig. Ganz ruhig.«
Doch Merlin lieà sich nicht von ihm beruhigen. Er sah gefährlich aus, als er seine Lefzen fletschte. Das Knurren wurde zu einem wüst klingenden tiefen Grollen. Der Arzt blieb stehen.
»Kennt jemand den Hund? Ich kann nichts tun, wenn er mich nicht an sie heranlässt.«
Marie war bei Paul. Sie wollte ihn umarmen. Doch da war plötzlich so eine Unnahbarkeit, die sie innehalten lieÃ. Es war deutlich, dass Paul unter Schock stand. Er ging einfach an ihr vorbei auf sein Motorrad zu.
Die Spannung, die in der stillen Luft lag, war greifbar.
»Ich lasse einen Tierarzt kommen, der soll den Hund betäuben.«
Bernard Tessier war blass geworden, als er an den Unfallort gekommen war und gesehen hatte, wer das Opfer war.
»Unfall mit Fahrerflucht« war die Meldung gewesen, die das Polizeirevier bekommen hatte. Madeleine, seine junge Kollegin, versuchte sich dem Hund zu nähern. Doch Merlins Aggression wurde nur noch gröÃer.
»Lass ihn, Madeleine, das ist zu gefährlich. Wir warten, bis der Tierarzt da ist.«
»Aber wenn sie noch lebt? Vielleicht ist es bis dahin ja zu spät.« Marie stellte sich Bernard als Kollegin aus Paris vor. Man konnte doch nicht einfach so herumstehen und nichts tun. Vielleicht konnte man Céline ja noch helfen.
»Hast du einen Gürtel an?« Michel verstand sie sofort. Er zog den alten Ledergürtel aus den Schlaufen. Marie nahm ihn und ging auf Merlin zu. Da wurde ihr der Gürtel aus der Hand genommen. Paul näherte sich dem Hund. Und der stand plötzlich ganz ruhig da. Lieà sich von Paul den Gürtel durch sein buntes Halsband ziehen. Sanft zog Paul an der improvisierten Leine. Und tatsächlich â der Hund ging neben ihm her. Mit hängendem Kopf und hängendem Schwanz folgte er Paul. Sie gingen einfach weg. Und schnell hatte sie die Dunkelheit verschluckt.
Claire lag in der Badewanne, als Leon ohne zu klopfen die Tür aufmachte. Bevor sie sagen konnte, ob er nicht anklopfen könne, sah sie, dass etwas nicht stimmte. Sein Gesicht war grau. Seine Schultern hingen kraftlos herunter, als er sich an den Türrahmen lehnte.
»Was ist passiert? Es ist doch nichts mit Caspar?«
Leons Augen waren dunkel vor Schmerz.
»Céline ist tot.«
»Natürlich kannst du früher gehen.«
Leon hatte Céline erstaunt angesehen, als sie gefragt hatte, ob sie nicht ausnahmsweise heute einmal früher gehen konnte. Das hatte sie noch nie getan. In all den Jahren war sie immer die Letzte gewesen, die das Büro verlassen hatte.
»Hast du etwa eine Verabredung? Kenne ich ihn?«
Leon hatte sie scherzhaft angelächelt. Wohl wissend, dass sich Céline, so lange er sie kannte, nie verabredet hatte. Doch sie hatte nicht, wie er erwartet hatte, den Kopf geschüttelt. Es war ein unbekannter Schimmer in ihren Augen gewesen, als sie sagte, dass er auch nicht alles wissen müsste.
»Du hast einen Mann kennengelernt?« Er war sofort neugierig geworden. Und ein bisschen eifersüchtig? SchlieÃlich war sie in all den Jahren ausschlieÃlich für ihn da gewesen. »Sollte ich ihn kennen?«
Sie hatte plötzlich innegehalten. Ihr Blick war ernst gewesen.
»Bevor es was Ernstes wird, stellst du ihn mir aber vor, ja?«
Sie hatte leise gelacht.
»Auch wenn es so aussieht â ich bin nicht deine Leibeigene, Leon. Sogar jemand wie ich hat das Recht auf ein bisschen Privatleben.«
Sie hatte den Computer ausgeschaltet, hatte ihm die Mappe mit den
Weitere Kostenlose Bücher