Wilde Wellen
Briefen, die er zu unterschreiben hatte, auf den Schreibtisch gelegt, hatte ihn noch einmal an den Termin mit seinem Notar erinnert und war gegangen. Er hatte ihr noch nachgerufen, dass er ihr viel Spaà wünsche. Und hatte sich belustigt gefragt, ob der Unbekannte wusste, wie auÃergewöhnlich die Frau war, mit der er sich treffen würde.
Als Claire ihre Arme um Leon schlang, spürte sie, wie erstarrt ihr Mann war. Sie wusste, wie sehr er Céline geschätzt hatte. Manchmal hatte sie ihn lachend gefragt, ob sie eigentlich auf Céline eifersüchtig sein müsse. Er verbringe schlieÃlich wesentlich mehr Zeit mit seiner Sekretärin als mit ihr, seiner Ehefrau.
»Céline gehört zum Inventar«, hatte er immer gelacht. »Die Firma Menec Poissons ist ohne sie nicht denkbar.«
Tatsächlich war sie auch schon Leons rechte Hand gewesen, als er nur einen einzigen Trawler, die Helena, besessen hatte. Sie war bei seiner Hochzeit mit Sabine gewesen und auf dem Tauffest ihrer Tochter Eva. Sie war viel mehr als eine Sekretärin. Sie war Vertraute und Freundin, die ihr Leben ihrer Arbeit und ihrem Chef verschrieben hatte. Es gab niemanden in seinem Leben, dem Leon mehr vertraute.
»Es ist ein Albtraum. So was darf doch nicht passieren. Wer fährt denn einen Menschen an und lässt ihn einfach liegen?«
Claire war klug genug zu wissen, dass sie jetzt nicht zu antworten brauchte. Sie musste einfach nur da sein. Irgendwie würde sie Leon schon über seinen Verlust hinweghelfen.
3
Marie hatte ihre Kollegen beobachtet, wie sie ihre Arbeit machten. Nachdem man Céline weggebracht hatte, hatten sie den Unfallort weiträumig abgesperrt und das Terrain untersucht. Vielleicht gab es ja einen Hinweis auf den Fahrer des Autos, der Céline getötet hatte. Doch der Regen hatte viel verwischt. Falls es Reifenspuren gegeben hatte, waren sie nicht mehr zu sehen. Célines Fahrrad lag ein paar Meter entfernt in der Wiese. Das Hinterrad war verzogen, doch auf den ersten Blick konnte man nicht sagen, ob es vom Aufprall des Autos oder vom Sturz herrührte. Die Spurensicherung würde das Rad gründlich untersuchen.
»Wahrscheinlich hat er sie in der Dunkelheit nicht gesehen. Vielleicht hat er ja nicht mal gemerkt, was passiert ist.«
»Eine Frau in komplett weiÃer Kleidung soll man nicht sehen? So dunkel ist es nicht mal im Grab.« Marie hatte Bernard aufgebracht angefahren. Und sich sofort entschuldigt.
»Tut mir leid, ich will mich nicht einmischen. Aber ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Ich meine, selbst wenn er sie nicht gesehen hat â es muss einen ziemlichen Rums gegeben haben, als er sie angefahren hat. So was merkt man doch normalerweise.«
»Nicht, wenn man telefoniert. Oder laut Musik hört. Er könnte gedacht haben, dass er über einen Stein gefahren ist. Nach dem Sturm liegen hier immer mal wieder ziemliche Brocken auf der StraÃe.«
»Vielleicht war er ja auch betrunken und hat deswegen nichts mitbekommen.« Die junge Polizistin Madeleine, die nicht älter als zweiundzwanzig sein konnte, hatte, mit einem starken Scheinwerfer bewaffnet, das Terrain abgesucht.
»Das ist auf jeden Fall keine Entschuldigung. Wenigstens nicht in Paris.«
»Hier auch nicht«, sagte Bernard scharf. »Wir sind hier zwar in der Provinz, aber bei uns gelten dieselben Gesetze wie in der Hauptstadt.« Marie hatte begriffen, dass sie zu weit gegangen war.
»Sorry. War blöd. Es ist nur ⦠Da liegt der Typ vielleicht in seinem warmen Bett neben seiner hübschen Frau und tut so, als wäre nichts passiert. Ich finde so was so ätzend.«
»Wir werden ihn finden.« Bernard nickte ihr zu, sammelte seine Kollegin ein, und sie fuhren ohne Blaulicht davon. Plötzlich war es still. Marie stand da und starrte auf die Stelle, an der Céline Marchand gestorben war. Sie sah Paul vor sich, wie er neben seiner toten Mutter gesessen hatte. Sie hörte das jämmerliche Jaulen von Merlin.
Einen Augenblick lang war alles in Ordnung gewesen. Letzte Nacht. Einen Augenblick lang hatte sie das Gefühl gehabt, dass alles gut werden konnte. Und jetzt gab es diese tote Frau. Und das furchtbare Gefühl beschlich Marie, dass es noch lange nicht zu Ende war.
Paul saà auf der Bank und starrte aufs Meer. Merlin hatte seinen groÃen Kopf auf seinen Schoà gelegt und hörte nicht auf, ihn mit seinen schwarzen Augen
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