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Wilde Wellen

Wilde Wellen

Titel: Wilde Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Sadlo
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heutigen Abend. Da hatte es ihr Angst gemacht zu sehen, wie sehr er neben sich stand. Er hatte wirres Zeug geredet. Hatte offensichtlich einen Menschen gesucht, bei dem er sich anlehnen konnte. Aber vielleicht hatte er auch nur mit ein paar Freunden ein bisschen zu viel getrunken, und sie machte sich ganz unnötig Sorgen um ihn.
    Wir machen jetzt ein bisschen Ordnung in deinem Kopf, dann kannst du besser schlafen. Marie seufzte leise, als sie die Stimme ihrer Mutter hörte. Es war ein geliebtes Ritual zwischen ihnen gewesen. Jeden Abend, nachdem sie die Zähne geputzt und schon im Bett gelegen hatte, war ihre Mutter in ihr Zimmer gekommen, hatte sich auf den kleinen Spielhocker neben das Bett gesetzt und Marie sanft mit dem Zeigefinger über die Stirn gestrichen. Und Marie hatte ihr erzählt, was sie den Tag über so getrieben hatte. Was ihr gefallen hatte. Was sie nicht gern gemacht hatte. Wovor sie Angst hatte. Und worüber sie sich Sorgen machte. Diese kleinen Mädchensorgen. Ach, Mama. Wenn meine Sorgen nur so klein wären wie damals. Und wenn ich meine Gedanken nur so einfach ordnen könnte.
    Sie starrte aus dem kleinen Fenster in die Dunkelheit. Die Altstadt mit ihrer dicken Stadtmauer lag in nächtlicher Stille. Nur die Nachbarskatze war wieder auf Streifzug. Die Ratten mussten sich in Acht nehmen vor der eifrigen Jägerin.
    Sie war wieder bei ihrem Vater. Sie hatten miteinander geredet. Über sein Leben als Kapitän. Über den furchtbaren Untergang seines Schiffs. Über sein Unvermögen, je wieder zur See zu fahren. Er hatte in sein Weinglas gestarrt und mit stockender Stimme geredet. Wie sehr er seinen Fehler mit Carla bedauert hatte. Wie sehr er sich nach Monique und nach Marie gesehnt hatte. Und dass er es schließlich einfach akzeptiert hatte, was geschehen war.
    Â»Vielleicht war es die gerechte Strafe gewesen. Meine Männer waren tot. Sollte ich da glücklich leben dürfen?«
    Â»Aber es war ein Unfall. Ein furchtbarer Unfall. Und es war ein Glück, dass du überlebt hast.«
    Â»Ich habe es nie als Glück empfunden. Ein Kapitän muss mit seinen Männern untergehen. Das wäre gerecht. Nicht, dass er als Einziger gerettet wird.«
    Ihr Herz, das sie doch vor ihm verschlossen halten wollte, hatte sich geöffnet wie eine Blüte. Sie konnte nicht anders. Sie musste diesem traurigen Mann, der so um eine zweite Chance mit ihr flehte, einfach verzeihen.
    Und es fühlte sich richtig an, gut und erleichternd. Sie würden es noch einmal miteinander versuchen. In aller Ehrlichkeit. In Liebe. Ohne Lügen.
    Am besten würde es sein, wenn sie noch eine Weile hierbliebe; sie war ja noch krankgeschrieben. Sie würde Michel in seiner Küche helfen. Sie würden miteinander leben. Würden reden. Und einander kennenlernen. Und dann? Marie wusste nicht, wie ihr Leben weitergehen würde. Aber das war im Moment auch nicht so wichtig. Morgen war auch noch ein Tag. Sie lachte leise auf, als sie diesen Gedanken schon wieder dachte. Wie sehr hatte sie diesen Film gehasst. Jedes Mal wenn er im Fernsehen kam, hatte sich ihre Mutter mit einer Familienpackung Eis vor den Fernseher gelegt und war zwei Stunden nicht ansprechbar gewesen. Jeden einzelnen Satz aus Vom Winde verweht hatte sie auswendig mitsprechen können. Dass Marie sie auslachte, weil sie diese Mutter aller kitschigen Melodramen so liebte, hatte sie nicht gestört. Und nun gebrauchte sie selbst Scarlett O’Haras Motto für ihr eigenes Leben. Aber Scarlett hatte ja recht. Es gab einfach Dinge, die sich heute nicht lösen ließen. Man musste darauf vertrauen, dass ein neuer Tag auch neue Gedanken bringen würde. Neue Lösungen für alte Probleme.
    Nur ein paar verkohlte Balken und ein Häufchen Asche, die der Wind in alle Richtungen geweht hatte, waren von Célines Haus übrig geblieben. In der Zeitung hatte gestanden, dass die Feuerwehr tatsächlich davon ausging, dass der alte Gasherd, den Céline schon lang hätte austauschen sollen, einfach explodiert war. Kein Hinweis auf Célines Geheimnis würde je in die falschen Hände fallen. Und wenn Paul Racine Brest wieder verlassen hatte, würde von dieser Seite keine Gefahr mehr drohen. Claire stand vor der immer noch rauchenden Ruine. Die frühe Morgensonne hatte den Nebel verdrängt, der rosige Schimmer, den sie über die Landschaft legte, ließ sogar die verbrannten Reste des kleinen Hauses

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