Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
Worten falsch geklungen hätte: Daß sie ihn liebte, immer geliebt hatte, obwohl er Grund genug hatte, ihr nicht zu glauben. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, wieder miteinander zu schlafen, denn die Qual lauerte gefährlich dicht unter der Oberfläche. Aber nun, da sie zusammengekommen waren, war es unmöglich, voneinander zu lassen. Wie auch immer es sich auswirken würde, sie waren auf Gedeih und Verderb unter dem Schattens des Todes vereint.
Kapitel 20
Nach diesem heftigen Liebesakt lagen sie ausgestreckt da und schwiegen aus Angst davor, was Worte vielleicht bewirken würden. Juliets Kopf ruhte auf Ross' Schulter, ihr leuchtendes Haar lag wie ein Tuch über seine Brust gebreitet, ihre Finger mit seinen verschränkt. Mit der anderen Hand streichelte er ihren Nacken, während er sich fragte, wie es nun weitergehen sollte. In den letzten sechs Stunden hatten sie eine Leidenschaft erlebt, die zuerst aus der Neuentdeckung, dann aus süßem Frieden und schließlich aus Verzweiflung entsprungen war; wenn er nicht so erschöpft gewesen wäre, wäre er von seinem eigenen Stehvermögen beeindruckt gewesen.
Nun schien es, als hätten sie einen zerbrechlichen Waffenstillstand zwischen sich errichtet, doch nichts war geregelt, nicht wirklich. Statt dessen würden sie vermutlich so weitermachen wie jetzt: zusammen, aber immer auf der Hut, keiner von beiden willens, mit den quälenden Themen umzugehen, die sie eben kurzfristig aus der Kontrolle gerissen und sie fast für immer voneinander entfernt hatten.
Ein verhaltenes Klopfen ertönte an der Tür, und beide erstarrten, als ein Diener verkündete, daß Abdul Samut Khan mit Lord Kilburn zu frühstücken wünschte. Hastig sprangen sie auf und stolperten in ihre Kleider, während Ross durch die Tür rief, daß es ihm eine Ehre sei, dem Nawab Gesellschaft zu leisten.
Ross beneidete Juliet um die Einfachheit ihrer Tuareg-Gewänder: Sie war komplett angezogen und sah aus, wie Jalal immer aussah, während er noch mit seiner Krawatte kämpfte. Bevor sie zur Tür gehen konnte, um den Diener hereinzulassen, flüsterte er ihr leise zu: »Ich bin vielleicht den ganzen Tag weg. Wirst du heute abend hier sein?« Ihre Brauen zogen sich hoch. »Natürlich.« Er war froh, das zu hören; er war nicht ganz sicher gewesen. Nachdem er seinen Rock übergezogen hatte, fuhr er sich mit einem Kamm durch die Haare, zwang eine gelassene Miene auf sein Gesicht und machte sich auf, zu seinem Gastgeber zu gehen.
Der Nawab grüßte ihn redselig. »Mein lieber Lord Kilburn! War die Audienz mit dem Emir schwierig? Hätte ich nur gewußt, daß Ihr gestern abend noch zu ihm gerufen werdet. Ich hätte Euch begleitet.« Er führte Ross zum Tisch, während seine kalten Augen einen beunruhigenden Gegensatz zu seiner jovialen Art darstellten. »Unglücklicherweise verlangten wichtige Angelegenheiten, die Artillerie betreffend, meine ganze Aufmerksamkeit, und ich erfuhr erst heute morgen, was geschehen ist. Was hat Seine Majestät gesagt?«
»Es war keine große Sache«, antwortete Ross leichthin, als er sich auf das Kissen niederließ. Er nahm an, daß der Nawab bereits Wort für Wort und Andeutung für Andeutung wußte, was sich in der Nacht im Audienzzimmer zugetragen hatte. »Der Emir teilte mir lediglich mit, daß ich Major Camerons Leiche nicht nach Hause bringen könnte. Natürlich bedaure ich das, aber es ist das Recht Seiner Majestät, mir das zu verweigern. Als ich um Erlaubnis bat, abzureisen, antwortete er, sie würde mir bald gewährt werden.«
Abdul Samut Khan blickte wachsam umher. Eine Wache stand an der Tür am entfernten Ende des Zimmers und trug eine gelangweilte Miene zur Schau. Ansonsten war niemand anwesend.
»Wenn das nur stimmen würde«, seufzte der Nawab nun mit leiser Stimme. »Doch der Emir ist bekanntermaßen launisch. Er wird Euch die Erlaubnis geben, nur um sie wieder und wieder zurückzuziehen. Genauso hat er sich Eurem Bruder gegenüber verhalten. So wird es weitergehen, bis er Euch irgendeiner Tat anklagt.. . oder auch aus gar keinem Grund.«
Ross blickte seinen Gastgeber ungerührt an. »Und dann was - der Schwarze Brunnen, oder wird er mich stehenden Fußes umbringen?«
»Das kann ich nicht sagen.« Der Nawab runzelte die Stirn. »Die Lage ist kompliziert, und sie wird noch schwieriger werden. Ihr werdet gehört haben, daß es zwischen Buchara und Kokand Streitigkeiten gibt. Gestern hat der Emir entschieden, persönlich eine Armee gegen seine Feinde
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