Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
Der Comte hatte sich allerdings nicht an ihn erinnern können. Er hatte lediglich anzüglich gegrinst, als er den schweren, alten Schlüssel in der Hand des Neuankömmlings bemerkt hatte.
»Ah, die junge Lady ist so heiß wie die Farbe ihres Haares. Viel Spaß, mein Freund. Sie ist es wert, daß man den Schlaf einer Nacht dafür opfert.« Dann war der Graf höflich um ihn herumgegangen, ohne zu wissen, wie nah er dem Tod gewesen war.
Wieder allein, hatte Ross wie gelähmt dagestanden, sein Körper war eiskalt und doch schweißüberströmt gewesen. Seine Welt war soeben unwiederbringlich zerschmettert worden.
Der Schmerz seiner Nägel, die sich in seine Handflächen bohrten, brachten ihn nun wieder in die Gegenwart zurück; eine Gegenwart, die fast so qualvoll war wie die Vergangenheit. Rauh sagte er: »Als ich im Hotel Bianca angekommen war, sagte man mir, du wärest ebenfalls zu Gast, also ging ich zu deinem Zimmer hinauf. Ich wollte gerade klopfen, als einer deiner Liebhaber mit ausgesprochen zufriedener Miene herausmarschiert kam. Es war der Comte dAuxerre. Erinnerst du dich an ihn? Oder war er bloß eine vorübergehende Laune, die du am Morgen schon vergessen hattest?«
Ein qualvolles Zucken lief über Juliets Gesicht, und sie senkte den Kopf. Ein vereinzelter Strahl der aufgehenden Sonne ließ wie zum Hohn die Kette an ihrem Hals aufleuchten.
Ihr hartnäckiges Schweigen verstärkte Ross' Zorn. Er hatte niemals ausgesprochen, was er auf Malta gesehen hatte, doch nun konnte er das entsetzliche Gefühl nicht länger zurückhalten. »Es ist mir niemals in den Sinn gekommen, daß ich dich mit einem anderen Mann im Bett ertappen könnte«, stieß er bitter hervor. »Es war erst drei Wochen hergewesen, Juliet. Drei verdammte Wochen erst. War er der erste, oder hast du in jedem Hotel zwischen Chapelgate und Malta einen anderen genommen?«
Sie schüttelte den gesenkten Kopf, und ihr langes Haar verschleierte ihr Gesicht, doch sie machte keinen Versuch, sich zu verteidigen.
Ross ließ sich aus dem Bett rollen und trat steif zum Fenster hinüber, das mit Lattenblenden geschützt war, die Licht und Luft hereinließen. Während er auf den leeren Hof hinunterstarrte, fauchte er: »Hast du denn gar nichts dazu zu sagen? Du kannst gestehen oder es widerlegen, du kannst auch prahlen. Aber sag irgend etwas, verdammt noch mal! Mit ein bißchen Geschick kannst du mich doch vielleicht sogar überzeugen, daß ich zum falschen Zimmer gegangen war.«
»Ich kann es nicht leugnen. Was du glaubst, was in der Nacht geschehen ist... ist geschehen«, entgegnete Juliet kaum hörbar. »Du hast recht, wenn du mich verachtest. Aber wenn du schon den ganzen Weg von England gekommen warst, warum hast du dann nicht versucht, mich zu treffen? Und wenn nur, um mir zu sagen, was du von mir hieltest?«
Ross stieß sich vom Fenster ab und lehnte schien bebenden Körper an die rauhverputzte Wand. Verzweifelt versuchte er, seine Haltung zu bewahren. Die Antwort war das schwärzeste Stück Selbsterkenntnis, dem er je gegenübergetreten war, und es beschämte ihn. Nichtsdestoweniger antwortete er, denn er wollte, daß Juliet wußte, was sie getan hatte. »Ich bin abgereist, weil ich Angst hatte, daß ich dich umbringen würde ...«
Einen endlosen Moment durchdrang nur das Rasseln von Juliets Atmung die vernichtende Stille. Schließlich gestand sie schwach: »Und das ist der Grund, warum ich seit Serevan Abstand von dir gehalten habe. Ich habe befürchtet, daß all die Mauern und Weigerungen, die es möglich gemacht haben, am Leben zu bleiben, zerstört werden würden. Und genau das ist passiert.«
Sie glitt vom Bett und kniete sich auf den Boden, hob ihr zerknittertes Gewand auf und hielt es sich vor den Körper, während sie mit der anderen Hand die restlichen Kleidungsstücke aufhob. In der Ferne riefen die Muezzins von einem Dutzend verschiedener Minarette zum Gebet. Es war nun hell genug, um Details zu erkennen, obwohl die Gegenstände noch eindimensional und farblos aussahen.
Müde überlegte Ross, wie es möglich war, von einem Moment zum anderen vom Glück zur Katastrophe zu wechseln. Juliet hatte recht damit, daß die Intimität die Mauern niedergerissen hatte. Jahrelang hatte er erfolgreich seine Wut unterdrückt, selbst in den vergangenen schwierigen Wochen, in denen er permanent mit seiner Frau zusammengewesen war. Doch auf eine seltsame Art und Weise hatte die Tatsache, daß sie sich geliebt hatten, seine Selbstbeherrschung
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