Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
welches durch Abdul Samut Khans Abreise entstanden war, schlafen. Nachdem er das Seil um das eine Bein des Bettes geschlungen hatte, hielt Ross einen Moment inne, um Juliets Gesicht zu betrachten. »Ich kann wirklich nicht behaupten, daß dir ein Schnurrbart steht.«
Sie grinste. »Dafür siehst du mit schwarzem Bart ziemlich gut aus.«
»Sag mir bloß Bescheid, wenn er sich löst.« Sein lockeres Gehabe schwand, und er gab ihr einen schnellen, intensiven Kuß, der mehr ausdrückte, als Worte es jemals vermochten.
Ross schlang das doppelt gelegte Seil um sich, kletterte aus dem Fenster und war kurz darauf aus der Sicht verschwunden. Juliet richtete ihren Tagelmoust und dachte dabei, daß sie ihren Mann nicht wiedererkannt hätte, wenn er ihr auf der Straße begegnet wäre. Er ließ seine europäischen Kleider hier zurück und war in das Gewand eines königlichen Kämmerers gekleidet, doch das war wirklich nur der simpelste Aspekt der Verkleidung.
Nach einem frühen Essen hatten sie beide ein paar ziemlich alberne Stunden voll Gekicher damit verbracht, ihre Maskerade auszuarbeiten. Das Material dafür hatten Juliet und Saleh auf dem Basar besorgt. Zuerst hatten sie sich mit einer schwach verdünnten Mischung aus Walnußsaft und Beize eingerieben, um Gesicht und Hände zu dunkeln. Dann hatte Ross seine Brauen und Wimpern dunkelbraun gefärbt. Doch der falsche Bart veränderte sein Aussehen am meisten. Abgesehen davon, daß er seine Gesichtszüge verbarg, war es notwendig, denn fast kein Mann in Zentralasien ging rasiert.
Um die Verkleidung zu komplettieren, hatte Juliet dann mit pedantischer Genauigkeit einzelne Haare an den Kanten eingefügt, um einen natürlich aussehenden Ansatz zu schaffen, denn die Maskerade mußte auch nahen Blicken absolut standhalten können. Das Ergebnis würde keinen entschlossenen Ruck aushalten, aber Ross ging nun durchaus als Bu-charer afghanischer oder persischer Herkunft durch.
Juliets Verkleidung war weniger überzeugend, denn der Schnurrbart konnte die Tatsache nicht verbergen, daß ihr Gesicht eher weibliche Züge besaß. Doch in ihrer lokalen Tracht würde man sie aus der Ferne oder im dämmrigen Licht für einen männlichen Bediensteten halten, und das war gut genug für die Aufgaben, die sie erledigen sollte.
Sie lehnte sich aus dem Fenster und beobachtete Ross' Abstieg an der Wand mit konzentrierter Neugier.
Als er den Boden erreicht hatte, war Juliet an der Reihe. Sie blickte noch ein letztes Mal umher, ob sie auch nichts vergessen hatten, und mußte lächeln, als sie an ihre eigene Sentimentalität dachte. Ohne es Ross zu sagen, hatte sie beschlossen, das Tänzerkostüm der Nacht zuvor einzupacken. Federleicht wie es war, ließ es sich leicht zusammenfalten und in einer Tasche unter ihrem Gewand verstauen. Mit Gottes Willen konnte sie vielleicht in Serevan erneut tanzen.
Dann verscheuchte Juliet diese unpassenden Gedanken und stieg ebenfalls aus dem Fenster. Am Boden angelangt, zog sie an dem Seil, so daß es oben um das Bein des Bettes glitt und schließlich neben ihr auf die Erde fiel. Ross rollte es rasch zusammen und schlang es über die Schulter, damit kein Beweis ihrer Flucht zurückblieb. Da ihre Räume oben von innen verriegelt waren, würde es mit etwas Glück bis zum folgenden Mittag dauern, bis die Diener des Nawabs bemerkten, daß ihre Gefangenen fort waren.
Juliet ging zuerst und Ross folgte ein Dutzend Schritte hinter ihr, während sie sich in den Schatten ihren Weg durch den Garten bahnten. Da im Sommer die meisten Diener wegen der kühleren Luft auf den Dächern schliefen, konnten schon leise Geräusche leichte Schläfer aufwecken.
Für ein anständiges Bestechungsgeld hatte Zadeh, der hilfreiche Wächter, ihnen versprochen, die selten benutzte hintere Tür ganz am anderen Ende des Grundstücks unverschlossen zu lassen, so daß es nicht besonders schwierig sein durfte, aus dem Besitz des Nawabs herauszukommen. Selbst wenn Zadeh es sich anders überlegt hatte oder nicht in der Lage gewesen sein sollte, den Schlüssel zu bekommen, so hatten sie immer noch das Seil und konnten zur Not über die Mauer klettern.
Dummerweise ging es bereits schief, als Juliet um eine Ecke bei den Ställen glitt und in die schwankende Gestalt von Jawer Shahid Mahmud rannte. Er roch nach Pferden und nach Alkohol; offenbar hatte er in irgendeiner finsteren Spelunke in der Stadt getrunken und war ausgerechnet jetzt zurückgekehrt.
Als Juliet hastig zurückwich, grollte Shahid
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