Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
in üblicher beleidigender Manier: »Paß doch auf, wo du hingehst, daous.«
Juliet murmelte eine heisere Entschuldigung und versuchte, um ihn herumzugehen, aber es war zu spät: Der schwarze Tagelmoust, den sie getragen hatte, um mit den Schatten verschmelzen zu können, verriet sie nun im Handumdrehen.
Shahid packte sie grob an den Handgelenken. »Na, wenn das nicht das Schätzchen des Ferengis ist.« Seine Stimme wurde schmierig, als er ihre Arme verdrehte. »Was für ein Glück, denn ich bin gerade jetzt in der Stimmung, zu vollenden, was ich neulich angefangen habe, und diesmal pass' ich besser auf.«
Juliet stand still, ohne den Versuch zu machen, sich zu wehren. Da Ross hinter ihr war, machte sie sich keine Sorgen darüber, was Shahid wohl tun konnte, doch die Stimme des Offiziers tönte so laut, daß sie befürchtete, er könnte die Stallburschen auf dem Dach über ihnen wecken.
»Und jetzt will ich erst mal dein Gesicht sehen.« Mit erstaunlicher Gewandtheit gelang es ihm, ihre beiden Handgelenke mit einer fleischigen Faust festzuhalten, während die andere nach ihrem Schleier grapschte.
Jetzt konnte Juliet nicht mehr passiv auf ihre Rettung warten, sondern sprang zurück und trat Shahid gegen den Fußknöchel.
Wo, zum Teufel, blieb Ross?
Sie bekam ihre Antwort ein paar Sekunden später, als sie eine kurze Bewegung hinter dem Usbeken entdeckte, doch bevor Ross zuschlagen konnte, spürte Shahid seine Anwesenheit. Mit einem Brüllen ließ der Jawer Juliet los und wirbelte herum. Sein Ruf wurde durch den ekelerregenden dumpfen Laut eines schweren Pistolengriffs auf einem menschlichen Schädel erstickt. Shahid taumelte zur Seite und stürzte wie eine gefällte Eiche zu Boden. Juliet erstarrte in purem Entsetzen. »Glaubst du, er ist tot?« »Unglücklicherweise nicht, aber er wird teuflische Kopfschmerzen haben, wenn er aufwacht.« Ross schob die Pistole in seine Tasche zurück. »So weit zu unseren hübsch zurechtgelegten Plänen. Komm, verschwinden wir hier, und laß uns hoffen, daß niemand aufwacht und uns über den Weg läuft.«
Sie sprinteten die letzten hundert Meter zum Tor. Sie hatten Glück gehabt, daß Shahid keine Chance bekommen hatte, Ross' Verkleidung zu sehen, und nun - Gott sei's gelobt - war die Hintertür genauso unverschlossen, wie sie sein sollte. Doch damit hatte sich ihr Glück auch schon erschöpft. Noch als Ross die Tür hinter ihnen zuzog, hörten sie bereits, wie sich auf dem Grundstück aufgeregte Stimmen erhoben. Man hatte den bewußtlosen Offizier schon gefunden.
Juliet fluchte innerlich. Wenn Shahid erwachte, würde es nicht lange dauern, bis er begriff, was geschehen war, und die Jagd war eröffnet. Dennoch würde wahrscheinlich nicht vor morgen früh Alarm gegeben werden, also sollte ihr Plan im Schwarzen Brunnen auch weiterhin möglich sein.
Die Straßen draußen waren ruhig, denn die Trommeln des Königs hatten bereits die Sperrstunde verkündet. Jeder, der ausging, war dazu angehalten, eine Laterne zu tragen. Da Patrouillen auf die Einhaltung des Gesetzes achteten, hielten Ross und Juliet sich in den Schatten und konnten nur hoffen, daß niemand sie sah und sich später an sie erinnerte.
Juliet führte, denn sie hatte in den letzten Wochen das Labyrinth der Gassen sorgfältig studiert. Eine Viertelstunde raschen Marsches brachte sie zu dem kleinen Basar, der nun wie ausgestorben dalag. Murad wartete bereits mit vier Pferden dort. Er machte einen erschreckten Satz, als Juliet sich neben ihm aus den Schatten löste, dann musterte er die Neuankömmlinge mit Anerkennung. »Sehr gut, Lord Kilburn. Du siehst wirklich wie ein höfischer Beamter aus Buchara aus.«
»Hoffen wir, daß die Gefängniswärter das ebenfalls finden.« Ross legte eine Hand auf die Schulter des jungen Persers. »Bist du bereit, dich in die Höhle des Löwen zu wagen? Es kann ziemlich gefährlich werden.«
Murad brachte ein schiefes Lächeln zustande. »Mehr für dich als für mich.«
»Aber ich tue es aus Liebe zu meinem Bruder. Man braucht mehr Mut, um sein Leben für einen Fremden zu riskieren.« Ross drückte ihm kurz die Schulter, dann veränderte sich sein Tonfall. »Nun möchte der Kämmerer des Königs reiten.«
Sie brauchten nur wenige Augenblicke, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Während Murad eine Lampe enthüllte und eine zweite anzündete, wickelte Ross den dunklen Schal ab, den er bis jetzt über seinem weißen Turban getragen hatte, um unauffälliger durch die
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