Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
begehrenswerter als ewiges Leben. Seine Hände glitten über die ihm so bekannten Rundungen ihrer Hüften, und durch den Stoff des Seidenkleides spürte er, wie ihre festen Muskeln sich bewegten, als sie sich an ihn preßte. Denn sie tat mehr, als seine Berührung nur passiv zu erdulden - sie reagierte mit wilder Sehnsucht, und ihre Hände und ihr Mund bewegten sich rastlos und fordernd, als wäre dies der einzige Augenblick, den sie jemals haben würden.
Und nur zu schnell war der Moment vorbei. Abrupt machte sie sich von ihm los. Ihr ganzer Körper bebte, und ihre Augen waren verschleiert, als sie flüsterte: »Nein, Ross, das nicht. Nie wieder!« »Warum nicht? Unsere Ehe war nicht nur schlecht.«
Ross hob die Hand und ließ seine Finger sanft über ihre Wange gleiten. »Weißt du denn nicht mehr?«
»O doch«, sagte sie mit brechender Stimme. »Und ich wünschte, ich würde es nicht tun.«
Seine Hand fiel herunter. Einen Augenblick blieb Juliet starr wie eine Skulptur stehen. Dann, befreit von dem Zauber, der sie beide einen kurzen Moment aneinander gebunden hatte, wandte sie sich ab und nahm eine der Lampen auf. Mit beherrschten Bewegungen verließ sie das Zimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Einen Augenblick schloß Ross die Augen und sagte sich, daß er an unerfüllter Begierde nicht sterben würde, obwohl er es sich kurzfristig, wünschte. Und er hatte in zwölf langen Jahren gelernt, daß auch Zurückweisung nicht tödlich war.
Absichtlich konzentrierte er seine Sinne auf die Prellungen und Abschürfungen, die seinen Körper übersähten, denn er wußte, daß der Schmerz besser zu ertragen sein würde als das, was er in diesem Moment empfand. Und doch, obwohl jeder Muskel, jeder Knochen und jede Sehne weh tat, konnte er die Begegnung mit den Turkmenen doch immer noch nur als reines Vergnügen betrachten, verglichen mit dem Abendessen mit seiner verloren geglaubten Frau. Es schien ihm unglaublich, daß erst ein paar Stunden vergangen waren, seit sie sich wiedergetroffen hatten, denn er fühlte sich, als wäre er in diesem halben Tag mindestens ein halbes Jahrhundert gealtert.
Mit gewaltiger Anstrengung begann er, den vertrauten Prozeß der Distanzierung zu aktivieren, die ihm erlauben würde, wieder vernünftig zu funktionieren. Er war sehr talentiert darin, sich geistig von seinen Emotionen zu lösen, und bald hatte er sie weit genug beiseite geschoben, um eine Art Bewunderung für Juliets konsequente Gründlichkeit zu empfinden. Mit nur sehr wenigen Worten war es ihr gelungen, ihn nicht nur in der Gegenwart zurückzuweisen, sondern auch alles zu leugnen, was sie in der Vergangenheit besessen hatte. Eine wirklich effiziente Frau, seine Juliet. Mechanisch löschte Ross alle Lampen außer einer aus, nahm diese letzte und verließ das Arbeitszimmer. Obwohl er sich alles genau angesehen hatte, als man ihn zum Essen geleitet hatte, konnte man sich leicht verlaufen, und es kostete ihn einige Zeit, um den Weg zurückzufinden. Während er die langen, kargen Korridore des alten Palastes entlangging, beschäftigte sich der gelehrte, organisierte Teil seines Verstandes eifrig damit, die Ereignisse zu analysieren.
Obwohl ihm die Sehnsucht nach fernen Ländern durchaus angeboren zu sein schien, wußte Ross, daß ein Grund für seine rastlosen Fahrten die vage Hoffnung war, daß er Juliet eines Tages wiederfinden würde. Nicht unbedingt aus Liebe, schon gar nicht aus Haß, sondern eher durch das zehrende Gefühl der Unvollständigkeit, das sie zurückgelassen hatte.
Heute hatte er sie durch reinen Zufall gefunden, und als Ergebnis hatte sich die Tür zur Vergangenheit unwiderbringlich geschlossen. Unsinnigerweise hatte er im stillen geglaubt, sie wäre vielleicht aus einem Impuls heraus weggelaufen und hätte einfach nicht gewußt, wie sie wieder nach Hause kommen sollte. Und wenn sie sich wiedertreffen würden, hätte es vielleicht eine Chance gegeben, noch einmal neu zu beginnen.
Nun war diese schwache, niemals ganz eingestandene Möglichkeit gestorben. Aus. Vorbei. Als er schließlich sein Zimmer erreichte, war Ross soweit, mit einem quälenden Verdacht zu kämpfen, den er gerne weit von sich weisen wollte, es aber nicht konnte: Daß ihm die Fähigkeit fehlen konnte, die Liebe einer Frau zu erwecken oder zu erhalten.
Er konnte lieben und von Familie und Freunden geliebt werden, aber was immer es brauchte, um eine tiefe Beziehung zwischen Mann und Frau zu entwickeln, schien ihm abzugehen.
Durch
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