Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
ausgemalt, was sie alles zusammen tun würden, wohin sie reisen würden, was sie alles noch entdecken würden. Und die ganze Zeit hatte er sie leicht, zart und unendlich beruhigend gestreichelt.
Obwohl sie beide ungeduldig auf diese Nacht gewartet hatten, war nun, da sie endlich gekommen war, keine Eile nötig. Juliet war sich wie ein Instrument vorgekommen, das von einem virtuosen Künstler gespielt wurde, als Ross ihren Körper zärtlich erforscht und sie ermutigt hatte, dasselbe mit seinem zu tun. Schüchtern hatte sie damit begonnen, die Hand in seinen Hausmantel gleiten zu lassen, um festzustellen, daß seine warme Brust mit herrlichen Haaren bedeckt war. Sie hatte seinen Herzschlag unter ihrer Handfläche gespürt und war bewegt und freudig überrascht gewesen, als er sich unter ihrer Berührung beschleunigte.
Als er sie endlich zum Bett getragen hatte, war ihre ganze Nervosität dahingeschmolzen. Ihre Mutter hatte ihr angedeutet, daß es beim ersten Mal weh tun würde, und Juliet war darauf gefaßt gewesen, doch als sie sich schließlich vereinten, hatte sie keinen Schmerz gefühlt. Statt dessen hatte sie nur ein seltsames Befremden über den Strom der unbekannten Sensationen empfunden, der sie überflutete.
Es war eine magische Nacht gewesen, und sie hatte gedacht, daß nichts jemals schöner sein konnte. Doch die folgenden Nächte waren noch besser gewesen, denn sie hatten sich immer mehr auf die Bedürfnisse und Reaktionen des anderen eingestellt. Es war ein wunderschöner Traum gewesen, bis sie erkannte, was mit ihr geschah. Und da war ihre Welt voller Entsetzen gewesen.
Juliet konnte sich nur ganz allein die Schuld dafür geben. Hätte sie einen stärkeren Charakter besessen, wäre sie in England geblieben. Statt dessen hatte sie aus Furcht ihr eigenes Leben zerstört. Und schlimmer noch: Sie hatte ihren Mann schrecklich verletzt - bis zum heutigen Abend war ihr nicht bewußt gewesen, wie sehr. Obwohl sie geahnt hatte, daß ihr Verschwinden ihm Kummer bereiten würde, hatte sie auf seine Gelassenheit und seine zuversichtliche Stärke gehofft, die es ihm möglich machen würde, sie zu vergessen und sich rasch zu erholen.
Aber er hatte sich nicht wirklich erholt. Weshalb sonst hätte er sonst bemerken sollen, daß er weder die Lust noch den Optimismus dazu besäße, eine andere Frau zu nehmen? Als sie geheiratet hatten, hatte er die Lust und den Optimismus für alles besessen. Vielleicht hätte sie einen tödlichen Unfall inszenieren sollen, statt einfach davonzulaufen. Wenn sie gestorben wäre, hätte Ross ihren Tod anständig betrauern und dann sein Leben wieder in Angriff nehmen können.
Aber sie war davongelaufen und hatte fast sofort erkannt, daß sie vom Regen in die Traufe geraten war. Verschreckt und einsamer als je zuvor, wäre sie glücklich mit Ross nach Hause zurückgekehrt, wenn er ihr nur hinterhergekommen und sie geholt hätte. Aber er war nicht gekommen, und kurz darauf hatte sie jenen vernichtenden Fehler begangen, der jede Chance auf seine Vergebung ein für alle Male zerstört hatte.
Juliet frage sich, was für schmutzige Geschichten wohl England erreicht hatten - vermutlich Gerüchte über wilde Orgien, an denen sie teilgenommen hatte oder etwas Ähnliches. Natürlich waren sie nicht wahr, aber sie hatten wohl gereicht, um Ross zu der Überzeugung zu bringen, daß sie es nicht wert war, hinter ihr herzujagen.
Eine andere Sache, die sie bis zu diesem Abend nicht wirklich begriffen hatte, war, wie sehr es seinen Stolz verletzt haben mußte, von seiner Frau verlassen worden zu sein. Ein zurückgezogener Mensch wie Ross mußte es ja verabscheuen, Mittelpunkt von Klatsch und Tratsch zu werden. Für sie war es leichter gewesen, da sie die respektable Gesellschaft hinter sich gelassen hatte. Sie war nicht mit vielsagenden höhnischen Blicken von Bekannten konfrontiert worden.
Wie mochte er nun über sie denken - oder für sie empfinden?
Ross hatte heute abend mit ihr schlafen wollen, oder hatte er sie nur aus reiner Neugier geküßt? Sie nahm an, daß es so oder so auf das eine hinauslief. Wenn sie nun in sein Zimmer ginge und unter seine Decke glitt, würde er sie wahrscheinlich in seine Arme ziehen, denn es sah so aus, als fände er sie immer noch attraktiv.
Es wäre sicher nicht dieselbe Leidenschaft wie damals, als sie sich geliebt und vertraut hatten, doch es würde wahrscheinlich dennoch körperlich ausgesprochen befriedigend werden.
Wie schade, daß sie ihren Körper nicht
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