Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
vielleicht verschwinden, wenn du mich lange genug derart anstarrst.«
»Tut mir leid.« Juliet spürte, daß sie errötete. Sie war gestern und heute öfter rot geworden als das ganze vergangene Jahr. Einen Moment war sie versucht, sich in Banalitäten zurückzuziehen, änderte dann aber ihre Meinung. Vielleicht war Disziplin keine ihrer Stärken, Direktheit aber in jedem Fall, also konnte sie sie auch anwenden. »Ich weiß nicht, wie ich mit dir umgehen soll, Ross. Du bist mir gleichzeitig so vertraut und so fremd. Hast du vielleicht eine Idee?«
Obwohl er sich nicht bewegte, hatte sie den Eindruck, als hätte er sich versteift, bevor er antwortete.
»Die Vertrautheit ist eine Illusion. Wir kannten uns vor zwölf Jahren für eine kurze Zeit, und obwohl die Beziehung sicher intensiv war, so doch im Grunde oberflächlich. Wir haben das meiste unseres Erwachsenenlebens getrennt gelebt, und das in ziemlich unterschiedlichen Kulturen. Wir sind Fremde füreinander, Juliet, auch wenn wir die nächsten Monate ein gemeinsames Ziel haben. Ich denke, wir sollten uns wie zwei entfernte Verwandte benehmen, die nichts gemein haben, aber die sich freundlich gesinnt sind.« Schmerzvoll amüsiert verzog sie die Lippen. Mit guten und schlechten Ergebnissen hatte ihre Liebe zu Ross ihr Leben geformt und bestimmt, und doch wollte er ihre Ehe so einfach als »im Grunde oberflächlich« einstufen und damit fortwischen. Wie auch immer, da sie ihn direkt gefragt hatte, wie er empfand, verdiente sie jede Antwort, die er ihr zu geben hatte. »Nun gut«, sagte sie mit gezwungen lockerem Tonfall. »Dann sehe ich dich als Cousin zweiten Grades.«
»Ein Cousin zweiten Grades, ewig weit entfernt«, bemerkte er trocken. »Nun, wenn wir unsere Reise in Angriff nehmen, wäre es fein, wenn du ein eifriges Interesse daran zeigen würdest, es deinem Arbeitgeber in allem recht zu machen.«
Juliet hob die Augenbrauen in gespielter Überraschung. »Ich hatte eigentlich vor, die Art von Diener zu sein, der vertrottelt und unzuverlässig ist, aber niemanden als sich selbst erlaubt, sich um den Herrn zu kümmern.«
»Ja, das scheint mir eher dein Stil als eifrige Dienstbarkeit«, meinte er mit der Andeutung eines Lächelns. »Wo wir gerade von Dienern sprechen - ich habe mich entschlossen, die beiden zu entlassen, die ich in Teheran eingestellt habe. Da sie die Nacht in Serevan verbracht haben, werden sie wohl bereits von dem mysteriösen Gul-i Sahari gehört haben, und wenn sie einmal wissen, daß die große Ferengi-Frau das Oberhaupt der Festung ist, werden sie sich wahrscheinlich denken können, wer sich hinter meinem neuen verschleierten Diener wirklich verbirgt, das könnte gefährlich werden.«
»Ja, das habe ich nicht bedacht.« Juliet krauste die Stirn. »Es sieht meinen Leuten zwar nicht ähnlich, Fremden viel über mich zu erzählen, aber du hast recht, es ist klüger, die beiden zu entlassen. Obwohl ich mich gewöhnlich als Mann verkleide, habe ich die Maskerade noch nie über eine längere Zeit durchgehalten, und es könnte sich als schwierig erweisen, meine Identität vor Leuten zu verbergen, mit denen ich permanent zusammen bin. Ja, besser du zahlst deine Männer jetzt aus.« Im Geiste ging sie kurz die anderen Dinge durch, die besprochen werden mußten. »Hat Saleh mit dir gesprochen?«
»Ja. Er wird uns in Buchara eine echte Hilfe sein, und man kann ihm wohl voll vertrauen, was deine Identität angeht. Könnten Saleh und du gegen Mittag zum Aufbruch bereit sein? Wir könnten bei Anbruch der Nacht in Sarakhs sein, und mit Glück erwischen wir da die Karawane, die ich in Meshed verpaßt habe.« Juliet war einen Augenblick verdutzt über seine plötzliche Eile, ließ sich jedoch nichts anmerken. Ross hatte recht - wenn es überhaupt noch eine Chance gab, daß Ian lebte, dann war der Zeitfaktor von höchster Wichtigkeit. Sie warf einen Blick zur Sonne und schätzte, daß es noch zwei Stunden bis Mittag waren. »Wir werden bereit sein.«
»Gut. Wir werden Kamele brauchen, wenn wir die Karakum durchqueren wollen. Ich nehme an, man bekommt welche in Sarakhs?«
Sie nickte. »Ich kenne einen Mann in Sarakhs, der uns anständige Tiere für einen nur leicht übertriebenen Preis verkaufen wird. Ein paar meiner Männer können uns begleiten, um unsere Pferde nach Serevan zurückzubringen.«
Nachdem das geregelt war, musterte Juliet die sehr gut sitzenden europäischen Kleider ihres Mannes, und sie zog die Stirn in Falten. Nach all den
Weitere Kostenlose Bücher