Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
Turkmene in ihre Richtung, dann eilte er zu seinem Anführer, um ihm etwas zuzuflüstern. Juliet runzelte die Stirn, doch bevor sie die anderen warnen konnte, machten der Yuz-Bashi und sein Gefolge schon kehrt und kamen direkt auf sie zu. Der Turkmene war ein eckiger, kräftig gebauter Mann mit den für seinen Stamm typischen Schlitzaugen. Er überblickte kurz die Mitglieder ihrer Gruppe und verlang, te dann barsch: »Gebt mir Aufstellung eurer Güter.«
Schweigend gehorchte Saleh. Während der Yuz-Bashi sich darin vertiefte, sah Juliet Habib mit einem hämischen Gesichtsausdruck ein wenig abseits stehen. Eine Reihe anderer Reisender sammelte sich ebenfalls um das Geschehen, als ob sie eine Art Drama erwarteten, doch die meisten wirkten eher besorgt als sensationslustig.
Der Yuz-Bashi warf einen Blick auf Juliet, musterte mit leichter Neugier ihre Verschleierung und stufte sie dann offenbar als armen Diener ein, der von keinerlei Interesse war. Derart sicher, daß man sie nicht vermissen würde, stand sie auf und verschwand in der Menge, um nach Hussayn, Muhammad Kasems Sohn, zu suchen.
In heiserem, schwer gefärbtem Persisch erklärte sie diesem, daß sie befürchtete, Habib wollte Kilburn Ärger bereiten, und daß Hussayn und Jalal vielleicht aufpassen sollten, daß kein Unrecht geschah. Mit wachsamem Blick folgte Hussayn Juliet, bis sie etwas hinter Habib stehenblieben.
In ihrer Abwesenheit hatte der Yuz-Bashi bereits die Steuer von Saleh eingetrieben. Ross saß immer noch am Feuer und nippte Tee, gefaßt und gelassen, so, als hätte er keinen Grund, sich über irgend etwas Sorgen zu machen.
Wie auch immer, anstatt nun zum nächsten Feuer zu gehen, kam der Yuz-Bashi auf Ross zu und blieb mit einem mißtrauischen Blick vor ihm stehen. »Ich höre, Ihr seid ein Europäer. Stimmt das?«
Ohne Hast blickte Ross zu dem chiwanischen Beamten auf. Nur jemand, der ihn so gut kannte wie Juliet, hätte die mühsam verborgene Spannung in seiner scheinbar reglosen Miene entdecken können.
Ross öffnete den Mund, um zu antworten. Doch bevor er noch ein Wort sagen konnte, mischte sich Abdul Wahab ein. »Kilburn ist ein Armenier und ein mirza, ein Schreiber.«
Muhammad Kasem drängte sich zwischen den Zuschauern vorbei und kam zu der Gruppe. »Aye, Kilburn ist ein Armenier. Ein Christ natürlich, aber ein gottesfürchtiger Mann. Jeder, der etwas anderes behauptet, ist ein böswilliger Lügner.«
Der Yuz-Bashi bedachte Ross mit einem drohenden, finsteren Blick. »Ist das wahr?«
Mit ernsthafter Stimme antwortete Ross: »Es ist wahr.« »Verehrst du den einen Gott?« »Ja. Auf die uralte Art meines Volkes.«
»Was sagt dein Volk über den Propheten und seine Lehren?« »Wir ehren den Propheten, möge der Friede mit ihm sein, denn das Gesetz, das er seinen Gläubigen verkündete, ist tief im Herzen dasselbe Gesetz, das unser Prophet, Jesus, uns gegeben hat«, sprach Ross mit fester Stimme. »Und wahrlich, es könnte auch nicht anders sein, denn Gottes Gesetze sind ewig und für alle gültig.«
Offenbar zufrieden nickte der Yuz-Bashi. »Die Steuer für Christen ist eins zu zwanzig, nicht eins zu vierzig, also müßt ihr noch einmal soviel bezahlen. Wieviel Gold führst du mit dir?«
»Ich habe zwanzig Goldmünzen. Wartet einen Moment, und ich gebe Euch Eure Steuer.« Ross zog eine kleine Börse aus seinem Mantel und reichte dem Mann eine Münze. Juliet wußte, daß Ross im Gepäck noch mehr Geld versteckt hatte, aber der Yuz-Bashi akzeptierte die Zahlung ohne Mißtrauen, vielleicht weil Ross sich so demütig gab.
Dann wandte er sich um und musterte die lockere Gruppe der Zuschauer. »Wer hat behauptet, dieser Mann sei ein Ferengi? Jeder Mann, der gegen ihn zeugen will, soll vortreten und jetzt sprechen.«
Juliet hielt den Atem an, während sie die Gesichter der Karawanenmitglieder musterte. Jung und alt, Usbeken und Kurden, Perser und Afghanen - sie alle starrten den Yuz-Bashi schweigend an, obwohl alle wußten, daß Ross ein Europäer war. Da seine Herkunft nun offengelegt war, war Ross in der vergangenen Woche mehr herumspaziert und hatte sich unter den Mitreisenden einige Freunde gemacht. Niemand wollte ihn verraten - außer Habib, der mit gemeiner Befriedigung grinste und nun den Mund öffnete, um zu sprechen.
Juliet stob vorwärts, um ihn davon abzuhalten, doch Hussayn stand näher und erreichte den Mann zuerst. Eine Klinge blitzte kurz auf, dann schnitt der usbekische Händler durch den Stoff des Gewandes
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