Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
Stiefel ausziehen, als er einen Ruf aus der Richtung des Brunnens hörte, »Kilburn! Komm schnell!«
Er erstarrte. War das Juliets Stimme gewesen? Nein, es hörte sich eher nach Murad an. Und doch - warum wußte Ross selbst nicht -war er plötzlich absolut sicher, daß Juliet in Gefahr schwebte. Er sprang auf seine Füße und riß einen brennenden Scheit aus dem Feuer, den er als Fackel benutzen wollte.
Saleh hatte auf seiner Decke gedöst, wachte nun aber schlagartig auf, als andere Stimmen ertönten. »Gibt es Ärger, Kilburn?« »Vielleicht«, sagte Ross angespannt. »Ich sehe nach.« So schnell wie möglich bewegte sich Ross über den rissigen Boden auf den Brunnen zu, an dem sich bereits eine stetig anwachsende Menge von Männern sammelte, von denen einige provisorische Fackeln wie die seine trugen. Er konnte noch nicht erkennen, was vor sich ging, aber er machte einwandfrei das häßliche Knirschen von Metall gegen Metall aus. Messer!
Sein Blut wie Eiswasser, schob Ross die Zuschauer zur Seite, bis er an den von Fackeln erleuchteten Kampfplatz kam. Windgepeitschte Flammen warfen wilde, zuckende Schatten über die Fläche, auf der sich zwei gebückte Gestalten mit gezückten Dolchen umkreisten. Es war das unheimliche Echo der Szene, die sich früher am Abend mit den Beamten aus Chiwa abgespielt hatte, doch diese hier finsterer, gewalttätiger.
Und Ross' schlimmste Befürchtung bewahrheitete sich Nein, nicht die schlimmste, denn Juliet schien unverletzt zu sein. Doch noch während Ross hinsah, machte Habib mit seinem langen Messer einen Vorstoß auf Juliets Herz. Mit einer so raschen Bewegung, daß das Auge kaum folgen konnte, wehrte Juliet den Angriff mit ihrer Klinge ab, und mit einer schnellen Drehung der Hand ritzte die Spitze das Handgelenk des Kameltreibers.
Einen Augenblick lang war Ross' wie paralysiert vor Furcht und Entsetzen, das so tief saß, daß die Sicht in seinen Augenwinkeln verschwamm und alles ausschloß, was nicht Juliet und die Gefahr, in der sie steckte, betraf. Instinktiv bewegte er sich vorwärts, um sich zwischen die beiden Kämpfenden zu werfen. Doch plötzlich packte eine kräftige Hand seinen Unterarm und hielt ihn fest. Wie in Trance drehte er sich um und fand Saleh vor.
»Nein, Kilburn. Wenn du dich einmischst, machst du es nur schlimmer«, sagte der alte Mann sanft.
Ross hätte sich fast aus dem Griff gewunden, doch er konnte gerade noch klar genug denken, um zu erkennen, daß Saleh recht hatte: Wenn er Juliets Konzentration störte, unterschrieb er vielleicht ihr Todesurteil. Aber hilflos danebenzustehen, war die schlimmste Folter, die er jemals in seinem Leben erfahren hatte.
Juliet war viel schneller als Habib, und sie wehrte geschickt jeden Vorstoß des Kameltreibers ab, während sie auf eine günstige Gelegenheit ihrerseits wartete. Sie hatte ihren Mantel abgeworfen, und in ihrem dunklen Gewand und dem Tagelmoust wirkte sie wie ein Schattenkrieger " unheimlich, schweigend und tödlich. Habib schwieg ganz und gar nicht, sondern stieß eine Litanei von schmutzigen Flüchen und Beleidigungen aus, während er zustieß und seine Augen blutrünstig funkelten.
Juliets kontrollierte, anmutige Bewegungen erinnerten Ross an etwas, das er fast vergessen hatte: Als Kind hatte Juliet durch ihre Brüder gelernt, wie man focht. Als sie erfahren hatte, daß auch Ross sehr gut mit dem Schwert war, hatte sie vorgeschlagen, gegeneinander zu fechten, aber er hatte rundweg abgelehnt. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, eine Waffe gegen seine Frau zu richten, auch nicht als Training.
Aber sie war gut, verdammt gut, in der verwandten Kunst des Messerkampfs. Weil sie kleiner als Habib war, hatte sie die bessere Reichweite und konnte seinen Angriffen erfolgreich begegnen. Ross hatte das Gefühl, als ob er auf irgendeine seltsame Art mit ihrem Bewußtsein verbunden war, als teilte er ihren konzentrierten Blick, nahm jede kleinste Bewegung ihres Feindes auf und glitt genauso leichtfüßig auf dem rissigen Boden vor und zurück.
Juliet hätte Habib schon mehrmals töten können, denn seine wilden Vorstöße boten fast ständig ungeschützte Angriffspunkte, doch sie wartete offenbar auf eine Chance, ihn zu verstümmeln, ohne ihn umzubringen. Doch wie sollte das enden? Ross verzweifelte langsam über seine Hilflosigkeit.
Dies war kein Ringkampf - in einem Messerkampf konnte jeder noch so kleine Fehler tödlich sein.
Er blickte über die wachsende Menge von Zuschauern in der Hoffnung,
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