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Wilder als der Hass, süsser als die Liebe

Titel: Wilder als der Hass, süsser als die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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ihre Kleidung daraufhinwies, daß sie aus dem ansässigen Stamm der Tekke kamen und keine  Räuber einer feindlichen Turkmenenbande waren, spürte Ross ein Prickeln der Unruhe in seinem Nacken.
    Dieses Gefühl vertiefte sich, als er erkannte, daß die Turkmenen nach etwas oder jemanden suchten. Dann kam der Anführer der Gruppe nah genug heran, daß Ross sein Gesicht erkennen konnte. Scharf sog er die Luft ein. »Dieser Mann in Dil Assa, der Anführer der Turkmenen, denen ich in Serevan begegnet bin.«
    Juliet und Saleh sahen abrupt auf, als sie beide daran dachten, daß Ross fast getötet worden war, während Murad, der der Versklavung gerade noch entgangen war, sein Bestes gab, um unauffällig zu erscheinen. Nur Abd war unbesorgt. Mit dem Rücken zu den Neuankömmlingen tupfte er genießerisch den letzten Rest Fleischsaft mit einem Stück Brot auf.
    Nur einen Augenblick später entdeckte auch Dil Assa seine damals entkommene Beute. Mit einem Triumphgeheul gab er seinem Pferd die Sporen und brüllte: »Der britische Spitzel! Es muß Gottes Gnade sein, daß du mir ein zweites Mal in die Hände fällst. Diesmal werde ich dich töten, Ferengi!«
    Juliet machte einen Satz auf ihr Gewehr zu, das nur ein paar Meter entfernt von ihr lag, aber Ross riß eine Hand hoch, um sie aufzuhalten. »Nein! Das Gewehr würde zu viele unschuldige Leben gefährden!« Dann sprang er auf die Füße und wandte sich an den Turkmenen. »Ich erinnere mich auch noch gut an dich, Dil Assa. Woher kommt deine Leidenschaft, Engländer zu töten?«
    »Ich brauche keinen Grund. Mach dich zum Sterben bereit, Hund.«
    Dil Assa hob seine Waffe, doch in diesem Moment stand Abd auf und wandte sich zu dem Angreifer um. Vor Ross' faszinierten Augen, schien der heilige Mann zu wachsen und auf einmal eine Aura der Autorität anzunehmen. Seine Stimme schnitt durch das alarmierte Lager wie ein Peitschenhieb. »Wenn du den Ferengi töten willst, dann wirst du deinen Kalifen zuerst töten müssen.«
    Ross sog scharf die Luft ein. Guter Gott, ihr abgerissen  aussehender Gast mußte der Kalif von Merw sein, der geistige Führer der Turkmenen und der einzige Mann, der irgendeinen Einfluß auf ihr wütendes Benehmen ausüben konnte.
    In dem erstarrten Schweigen, das sich fast augenblicklich über das Lager senkte, war Dil Assas entsetztes Aufkeuchen deutlich zu hören. »Majestät, ich habe Euch nicht erkannt!«
    »Nein, denn du warst zu sehr mit deiner Boshaftigkeit beschäftigt«, tadelte der alte Mann streng. »Du machst mir Schande, Dil Assa. Ich habe mit dem Ferengi Brot geteilt und habe ihn als einen ehrbaren Mann kennengelemt. Wenn du ihn umbringst, wird mein Fluch über dich und deine Zelte kommen.« Dil Assa erbleichte. »Ihr habt niemals Einwände erhoben, wenn wir aus Persern Sklaven machten, Majestät«, wandte er schwach ein. »Tatsächlich habt Ihr sogar gnädig ein Zehntel unserer Gewinne genommen.«
    »Das ist eine vollkommen andere Angelegenheit«, sagte der alte Mann würdevoll, »denn ein Turkmenenräuber nimmt seinen Gefangenen nicht das Leben, sondern behandelt sie wie ein Vater seine Kinder, da sie tot wertlos sind. Im übrigen sind Perser Schiiten, und sie zu bekämpfen beweist größere Demut als eine Pilgerreise.«
    Murad, der sowohl Perser als auch Schiite war, zuckte zurück und schob sich näher an Saleh heran, der wie die Turkmenen ein Sunnit war. Ross empfand es als Ironie, daß Abd sich einem Christen gegenüber toleranter als einem moslemischen Gefährten gab, war aber zu froh über die Intervention des Kalifen, um auf die kleinen Lücken in der Logik aufmerksam zu machen.
    Abd fuhr fort: »Ich will dein Wort, daß du dem Ferengi. seinen Dienern und seinen Freunden niemals etwas zuleide tun wirst.« Sein stechender Blick glitt über die anderen Turkmenen der Gruppe. »Und ich will das Versprechen von euch allen und euren Verwandten in euren Zelten haben.«
    Dil Assa schluckte hart. »Ihr habt mein Wort, Majestät, und ich werde Euren Wunsch zu meinem Stamm weitertragen.«
    »Sehr gut.« Die Miene des Kalifen wurde augenblicklich freundlicher. »Es freut mich, daß du Gott fürchtest, Dil Assa, denn ich weiß, daß du keinen Menschen fürchtest.«
    Dil Assas Gesicht erhellte sich ein wenig, denn er nahm die Worte als Kompliment. Doch als er sich wieder an Ross wandte, war sein Blick immer noch wütend wie der eines räudigen Katers. Ross fühlte sich an die Schulzeit in Eton erinnert, als die Jungen sich verpflichtet fühlten, sich

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