Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
in den Kopf gesetzt hast«, sagte der Derwisch und schloß kurz genießerisch die Augen. »In der Schlichtheit der Wüste kann ein Mensch mit Gott allein sein. Und das Verständnis, geboren aus dieser Schlichtheit, ist durch die ganze Welt getragen worden.« »So ist es, und das ist es auch, was dein und mein Glaube gemein haben. Alle Leute der Schrift tragen das reine Abbild des Wüstengottes in ihren Herzen«, sagte Ross. »Wie die meisten Engländer fühle ich mich mit den Söhnen des Propheten näher verwandt als mit den Hindus, die viele Götter haben, oder mit den Buddhisten, dessen Gott so abstrakt und fern zu sein scheint.« »Das ist gut«, erwiderte Abd und nickte nachdenklich. »Glaubst du, daß Hindus und Buddhisten falsche Götter verehren?«
Ross schüttelte den Kopf. »Das würde ich nicht sagen, denn ich weiß nicht genug über ihre Religion, um klug urteilen zu können, und ich habe Hindus und Buddhisten kennengelemt, die demütige Männer waren. Vielleicht beten auch sie auf ihre Art zu dem Einzigen. Doch den Gott des Propheten kann ich augenblicklich begreifen, ohne daß er mir erklärt werden müßte, denn er ist auch der Gott meiner Vorfahren.«
Es schien, als hätte er die Prüfung bestanden, denn nachdem Abd mehrmals genickt hatte, begann er eine begeisterte Abhandlung über die Natur von Feuer und Wasser und ob Gott sie wirklich geschaffen haben konnte, da sie zerstörerisch waren, Gott selbst aber gut. Der Derwisch ereiferte sich immer noch, als Murad aufstand und nach dem Essen sah. Da es fertig war, warf der junge Perser Ross einen fragenden Blick zu.
Ross wandte sich an den Derwisch. »Wir wollen unsere Abendmahlzeit einnehmen. Würdest du uns die Ehre erweisen, unser bescheidenes Mahl zu teilen?«
»Die Ehre ist meinerseits«, antwortete Abd glücklich. Der Derwisch sah so zufrieden aus, daß Ross den Verdacht hatte, der Grund des Besuchs hatte nicht in Glaubensfragen gelegen, sondern im einfachen Wunsch, ein Essen umsonst zu ergattern. Aber Ross kümmerte es nicht; Abd war ein angenehmer, alter Kerl und konnte ganz offensichtlich eine vernünftige Mahlzeit gebrauchen. Murad wirkte wehmütig, als er das Lamm in fünf Teile aufteilte, protestierte aber nicht, während er die Mahlzeit auf die Platte lud. Im Islam war es üblich, zu teilen, und Ross fand, daß es der christlichen Welt guttäte, das zu übernehmen.
Juliet war schlagartig aufgewacht, als das Essen serviert wurde, und nun setzte sie sich mit gekreuzten Beinen zu den anderen.
Ross stellte sie dem Derwisch als Jalal vor und setzte hinzu, daß sie nur wenig Persisch sprach.
Nach einem gemurmelten Segen bemerkte Abd: »Es ist selten, daß man einen Targi in Turkestan zu sehen bekommt.«
»Es überrascht mich, daß du überhaupt schon einen gesehen hast«, erwiderte Ross.
»Aye, es waren schon ein oder zwei in Merw. Die Karawanenrouten sind die Lebensadern des Islams, und sie führen die Söhne des Propheten von einem Ende der Erde zum anderen.«
Der Derwisch erging sich in Darstellungen, wie Karawanen und Pilger Einigkeit in der ganzen moslemischen Welt förderten, ein Thema, das schließlich in eine generelle Diskussion über Transport und Reise mündete. Nachdem Ross ihm die Eisenbahn beschrieben hatte, sagte der alte Mann perplex: »Das klingt höchst unnatürlich Welchen Wert hat derartige Geschwindigkeit?«
»Sie verkürzt die Reisen und bringt Güter schneller ans Ziel, so daß die Menschen ein besseres Leben führen können.«
Abd schüttelte heftig den Kopf. »Der Schritt eines Kamels oder eines Esels gibt dem Manne Zeit zu sehen, nachzudenken, zu verstehen . . . und dies sind die Dinge, die das Leben besser machen. Für einen einfachen Mann wie mich scheint es, als seid ihr Ferengis zu sehr besorgt über haben und tun. Im Islam finden wir das sein wichtiger.«
Ross' Meinung über den Derwisch stieg noch an. »Wenn ich dir einen aufregenden neuen Gedanken gegeben habe, so hast du für mich nun dasselbe getan. Ich danke dir.«
Es war ein rundum angenehmes Abendessen. Sie waren gerade fertig geworden, als eine Gruppe Turkmenen ins Lager galoppiert kam. Die Pferde wirbelten mit ihren donnernden Hufen Staubwolken auf, und die Männer stießen wilde Rufe aus. Mit ihren hohen, schwarzen Schaffellhüten wirkten sie wie eine Truppe der Kavallerie. Als sie sich einen Weg durch die Feuer bahnten, stoben erschreckte Ziegen und Hühner aus dem Weg, während die Karawanenmitglieder zurückwichen und wachsam zusahen. Obwohl
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