Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wilder als der Hass, süsser als die Liebe

Titel: Wilder als der Hass, süsser als die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
Vom Netzwerk:
Hand würde sich ohne sein Zutun bewegen. Daher griff er in den weichen Boden und ließ Sand durch seine Finger rieseln. »War sein mangelndes Interesse an dir der Grund, warum du immer mit deinen Brüdern unterwegs warst und die gleichen Dummheiten angestellt hast?«
    Eine überraschte Pause entstand. »Das ist sehr wahrscheinlich, obwohl ich in dieser Richtung noch gar nicht gedacht habe. Damals fand ich, daß Jungen soviel interessantere Dinge tun konnten als Mädchen. Zudem gab es in Tripolis oder Teheran nur meine Brüder und sonst niemanden, mit dem ich spielen konnte, denn in beiden Städten kannten wir keine europäische Familie, die ein Mädchen in meinem Alter hatte.«
    Noch mehr als zuvor wünschte Ross sich, sie anfassen zu dürfen, doch er wollte die zarte, zerbrechliche Bande» die im Augenblick zwischen ihnen bestand, nicht dadurch  zerstören. In den letzten wenigen Minuten hatte sie ihm mehr über die Gefühle ihrer Kindheit offenbart, als in der kurzen Zeit ihrer Verliebtheit und Ehe. Vielleicht konnte er ein bißchen von dem Geheimnis lösen, wer seine Frau eigentlich war, wenn er das Gesagte erst einmal verdaut hatte. »Kein Wunder, daß es hart für dich war, nach deines Vaters Tod auf eine englische Mädchenschule geschickt zu werden.«
    »Es war entsetzlich«, gestand sie inbrünstig. »Ich wollte mich mit ihnen anfreunden, aber ich wußte nicht, wie. Jedenfalls nicht, bis Sara mich an die Hand nahm. Es gab meiner Position dort einen gewaltigen Schub, daß sie mit mir befreundet war, denn sie war das beliebteste Mädchen an der Schule. Und wichtiger noch: Sie brachte mir bei, wie man sich vernünftig benimmt. Die englische Oberklasse ist ein Labyrinth aus erhabenen Ritualen, aus richtigen und falschen Arten, etwas zu tun. Macht man einen Fehler, ist man für ewig als Außenseiter gebrandmarkt.«
    »Du warst aber keine Außenseiterin. Deine Eltern stammten beide aus sogenannten guten Familien. Du hattest genauso viel Recht, in dieser Gesellschaft deinen Platz einzunehmen wie jedes andere Mädchen auf der Schule.«
    Juliet senkte den Kopf. »Theoretisch mag das richtig sein, aber in der Praxis funktionierte es nicht auf diese Art. Ich war nicht nur vollkommen unwissend, was die Regeln und den Klatsch betraf, über den die anderen redeten, ich war auch noch Schottin, die größte der ganzen Schule und hatte schrecklich unmodisches Haar. Ich wußte noch nicht mal, wie man richtig kichert. Wäre Sara nicht gewesen, wäre ich wohl irgendwann weggerannt.«
    Sein Herz krampfte sich bei dem Gedanken an das todunglückliche Kind, das sie gewesen war, zusammen. »Die Geschichten, die du mir von deiner Schulzeit erzählt hast, waren immer spaßig gewesen. Ich hatte keine Ahnung, daß es dir so übel erging.«
    »Jammern und Klagen steigert nicht gerade die Anziehungskraft, also habe ich es gelassen. Im übrigen war ich mir sicher, daß du es nicht verstehen würdest. Du bist mitten in der Gesellschaft aufgewachsen, und das korrekte Verhalten ist dir sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen, so daß du immer genau wußtest, was zu tun war oder was geschehen würde, wenn du ungehorsam warst«, sagte sie mit leicht bitterem Humor. »Mit der Zeit habe ich genug von den Regeln gelernt, um die Illusion zu erschaffen, daß sie mir eigen waren, aber ich machte immer noch Fehler.«
    »Ich habe keine bemerkt.«
    »Oh, aber das hast du«, korrigierte sie weich. »Wenn ich mich zu weit von der Mittellinie entfernte, hast du mir stets freundlich zugeflüstert, was ich falsch gemacht hatte: Daß ich zu heftig widersprochen hatte, daß ich nicht ehrerbietig genug war, daß ich wieder eine dieser verdammten kleinen Regeln gebrochen hatte.« Nun war es an Juliet, den feinen Sand durch die Finger rinnen zu lassen. Obwohl ihr Tonfall nicht anklagend war, hatte Ross das Gefühl, als hätte ihn jemand überraschend in den Magen getreten, denn sie sprach einen der Punkte an, die sie stets unterschieden hatten. Und obwohl er sie besser verstehen wollte, schnitt ihm dies schmerzhaft ins Herz. »Verdammt«, fluchte er. »Ich kann mich  nicht einmal erinnern, daß ich dich kritisiert haben soll, doch ich muß dir ziemlich weh damit getan haben, richtig?«
    Rasch drehte sie ihm ihr Gesicht zu. Im blassen Mondlicht waren ihre Augen nur dunkle Schatten. »Und nun habe ich dir weh getan, weil ich es erwähnt habe. Es tut mir leid, Ross. Ich hätte nichts sagen sollen. Sogar damals schon wußte ich, daß nicht du das Problem warst,

Weitere Kostenlose Bücher