Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
»Schließlich ist dies nicht mit einem überfluteten Wadi, einem Messerduell oder einem Buskaschi zu vergleichen. Alles, was sie tun mußten, war, die Decke, die sie als Schattenspender benutzt haben, zu nehmen und sich darin einzurollen. Da fast alle in der Karawane sich ausruhten, hätte sich der Sturm keine bessere Zeit aussuchen können.«
»Du hast recht«, gab sie zu. »Wir sind zweifellos die einzigen, die dumm genug waren, um die landschaftlichen Schönheiten aus der Nähe betrachten zu wollen.«
»Natürlich. Jedermann weiß doch, daß die Briten unverbesserliche Touristen sind.«
Juliet lächelte. Da es nichts zu tun und auch nichts mehr zu sagen gab, beschloß sie, sich zu entspannen. Draußen mochte die Natur noch so toben und wüten, aber sie beide teilten eine winzige, sichere Oase aus Berührung, Wärme und ruhiger Atmung, die ihr Geborgenheit verschaffte.
Dennoch merkte sie bald, daß sie nicht einschlafen konnte. In der Sicherheit ihres provisorischen Zeltes empfand sie den Sturm plötzlich als erregend. Die Vibrationen strichen über ihren ganzen Körper und einten sie mit dem Wind, mit der Erde — und mit Ross, denn wie immer paßten ihre Körper zusammen, als wären sie extra füreinander entworfen worden. Sie konnte ihn nicht sehen, aber sie atmete seinen Geruch ein und spürte das Schlagen seines Herzens an ihrer Wange.
Langsam, aber unweigerlich erwachte die Leidenschaft, die Juliet unterdrückt zu haben glaubte, verräterisch zum Leben. Zuerst empfand sie nur ein schwaches Ziehen in ihrem Inneren, doch es wuchs und wurde zu einem Kribbeln, das durch ihre Adern strömte, bis es jede Faser ihres Körpers durchdrungen hatte. Wenn sie ein Liebespaar gewesen wären, hätte sie ohne zu zögern auf das wachsende Verlangen reagiert und ihre Hände über seine muskulösen Arme und seine Brust gleiten lassen. Sie hätte ihn geküßt und das Salz seiner Haut gekostet, hätte ihn dann geneckt, erregt und gelockt, dasselbe zu tun.
Statt dessen lag sie stocksteif da und kämpfte gegen den Impuls, ihn zu berühren. Sie waren sich auch damals in der Karawanserei in Sarakhs so nah gewesen, als Juliet aufgewacht und sich mit ihm verschlungen gefunden hatte. Doch da hatte er geschlafen, und sie hatte sich ohne große Schwierigkeiten von ihm lösen können. Nun waren sie beide hellwach und aneinander geschmiedet, so lange der Sturm dauerte . . .
Das Kribbeln in ihrem Körper nahm immer mehr zu, so, als würde sie mit Federn gekitzelt werden. Wenn sie nicht ganz und gar die Beherrschung verlieren wollte, mußte sie sich bewegen, also verlagerte sie ihr Gewicht ein wenig. Doch statt dessen lag sie plötzlich noch enger an ihren Mann gepreßt. Innerlich fluchte sie heftig über die Erkenntnis, daß sie offenbar ihren Körper nicht mehr richtig beherrschen konnte. Dann konzentrierte sie sich auf eine gleichmäßige Atmung und betete, daß Ross nicht merkte, wie sie empfand.
Ihre Gebete wurden nicht erhört. Und seine, falls er sich zu welchen entschlossen hatte, ebenfalls nicht. Das leichte Prickeln, das er vorher überall verspürt hatte, konzentrierte sich nun in seinen Lenden und machte ihm peinigend deutlich, wie übermächtig sein Verlangen nach ihr war.
Juliet biß sich auf die Lippe. Sie waren beide einfach verrückt. Während um sie herum ein mörderischer Sturm peitschte, ergingen sie sich in Leidenschaft, und das verrückteste daran war, daß sie sich die größte Mühe gaben, sie zu ignorieren.
Juliets Mund war so trocken, daß sie glaubte, sie müßte ersticken, also griff sie wieder nach der Wasserflasche. Während sie es tat, wanderten ihre Gedanken zwölf Jahre zurück, als sie noch jedes Recht gehabt hatte, ihren Mann zu berühren. Damals hatte es keine Hindernisse zwischen ihnen gegeben, keine Zweifel. . . Unwillkürlich seufzte sie leise auf. Wie sie die Luft zum Atmen brauchte, so zwanghaft war plötzlich der Drang in ihr, ihn zu berühren. Sie hob ihr Gesicht und küßte ihn mitten auf den Mund. Und sie war ganz sicher, daß dies der erste Vorgeschmack auf den Himmel war.
Einen Moment lang hatte Juliet geglaubt, Ross wollte ihre Zärtlichkeiten erwidern, doch er hatte sich noch immer in der Gewalt. »Herr im Himmel, Juliet«, keuchte er und stieß sie ein Stück zurück. »Das ist eine verdammt miese Zeit, um Spielchen zu treiben.«
Wieder in die Gegenwart gerissen und vollkommen entsetzt über das, was sie getan hatte, stöhnte Juliet erstickt auf. Kopflos, nur noch von dem
Weitere Kostenlose Bücher