Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
ziehen. »Wir beide scheinen mit dem Bedürfnis belastet zu sein, den anderen zu schützen und den anderen zu begehren. Vielleicht ist es einfacher, wenn wir die logische Folgerung daraus ziehen und das Natürlichste mit letzterem machen.«
Allein der Gedanke daran ließ sie innerlich vor Begierde zerschmelzen. Wieder ein Liebespaar zu sein, sich dem Verlangen zu ergeben, anstatt es zu bekämpfen . . . das wäre der Himmel auf Erden.
Bis er wieder nach England zurückkehrte! Ihn das eine Mal zu verlassen, hatte sie fast vernichtet - wenn sie sich nun erneut auf die alte, vertraute Nähe einließen, dann würde sie es vielleicht nicht überleben, ihn ein zweites Mal zu verlieren. »Es wäre nur im Moment leichter«, sagte sie also mit bebender Stimme. »Der Effekt auf die Zukunft aber würde katastrophal sein.«
Seine Hand hielt inne, dann zog er sie zurück. »Du hast recht. Sehr gut, daß du mich daran erinnerst. Wie bei den meisten Männern scheint die Lust meinen Verstand auszuschalten.«
»Mir ist das gleiche passiert«, gab sie leise zurück. »Wieder einer von meinen hoffnungslos undamenhaften Charakterzügen.« »Dabei ist das genau eines der Dinge, die ich an dir immer am meisten gemocht habe«, bemerkte er. »Deine Direktheit ist ein zweischneidiges Schwert, aber ich ziehe sie immer noch der neckischen Spielerei vor, mit der die meisten Frauen Männer so gerne durcheinanderbringen.«
Sie war froh, daß er außer ihrem Körper noch etwas an ihr mochte. Oh, sie hatte bestimmt nichts dagegen, daß er sie anziehend fand, auch wenn es derartige Probleme schuf. Nach all den Jahren, die sie die Rolle der starken Gul-i Sahari gespielt hatte, war es zutiefst befriedigend, sich wieder wie eine Frau zu fühlen und zu wissen, daß sie immer noch auf Männer wirkte. Besonders auf diesen Mann!
So lagen sie schweigend beieinander, entspannt, wenn auch nicht wirklich behaglich. Obwohl sie ihrem Verlangen nicht nachgeben konnte, genoß Juliet seine Nähe. Mochte die Welt aufhören, sich zu drehen - es wäre egal.
Doch leider würde dieser Zustand nicht mehr allzu lange dauern, denn der Wind legte sich langsam, und bald würden sie wieder ihre alten Rollen übernehmen und zu ihrer gewohnten Distanz zurückkehren müssen.
Als das Brausen des Sturms schließlich zu dem weichen, konstanten Pfeifen des »Windes der hundert Tage« abgeebbt war, zog Ross seinen Arm von Juliets Taille und machte sich bereit, sich aufzusetzen. In dem Wissen, daß die Zeit abgelaufen war, gestand Juliet zögernd: »Auch wenn ich mich eben wie eine dumme Idiotin gefühlt habe, war es wohl gut, daß das passiert ist. Nun, da wir uns ausgesprochen und zugegeben haben, daß es ... daß es eine schwelende Begierde zwischen uns gibt, können wir sicher besser damit umgehen.«
Ross schwieg eine lange Zeit. »Ich bin froh, daß du so denkst«, antwortete er dann endlich. Seine Stimme klang emotionslos. »Der Sturm hat sich offenbar gänzlich gelegt. Sollen wir mal nachsehen, wie die Außenwelt aussieht?«
Er zog den Umhang zurück, und aus jeder Falte und jedem Knick floß feiner Sand auf sie hinab. Die Nacht war angebrochen, doch der Himmel war sternenklar und ein wächserner Mond warf ätherisches Licht über die bleichen, sanft geschwungenen Dünen. Die Temperatur war beträchtlich gefallen, und die frische Nachtluft fühlte sich nach der erstickenden Geschlossenheit ihres Unterschlupfes herrlich an.
Während sie tief, tief Luft holte, streckte Juliet ihre verkrampften Glieder aus. »Wüstensterne sind wunderschön«, bemerkte sie, als sie in die samtene Finsternis starrte. »Ich werde nie müde, sie anzusehen.«
Ross war gedanklich noch eher mit dem Weltlichen als mit dem Himmlischen beschäftigt. Doch er nickte und meinte betont sachlich: »Gut, daß ich meinen Kompaß dabei habe, sonst hätten wir nur die Sterne als Orientierung. Der Sturm hat die Landschaft so verändert, daß wir uns leicht verirren könnten.«
»Wenigstens brauchen wir uns nicht zu beeilen. Ich bin sicher, daß wir morgen früh viel später aufbrechen, denn es wird Stunden dauern, all die verwehten Dinge wiederzufinden, die der Sturm mitgenommen hat.«
Juliet wollte sich gerade aufsetzen, als Ross auf sie hinabsah. Das blasse Mondlicht war gerade kräftig genug, um die klassische Perfektion ihrer Züge herauszuarbeiten.
»Ja, es war richtig, daß wir beide unsere dumme Lust aufeinander zugegeben haben«, murmelte er, hob eine Hand und zeichnete sanft die
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