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Wilder Als Ein Traum

Titel: Wilder Als Ein Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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Töchter liebte, überkam ihn ein Anflug von Nostalgie. Tristan Lennox war mehr als nur sein Blutsbruder, seit sie sich als zwei einsame kleine Jungen vor all den Jahren in dem Waisenhaus in Boston ewige Treue geschworen hatten: Er war sein bester Freund.
    »Oh, du bist ganz bestimmt die Tochter deiner Eltern«, murmelte er jetzt. »Habe ich dir je gesagt, wie ähnlich du schon immer deinem Vater sahst?«
    Mit einem angespannten Lächeln setzte Tabitha ihre Brille wieder auf. »Du solltest mich nicht derart auf den Arm nehmen. Meine Mutter behauptete oft dasselbe, was ich immer etwas grausam fand.« Ehe er protestieren konnte, nahm sie ihren formlosen Laborkittel von der Sessellehne und wandte sich zum Gehen. »Du kanntest …« Sie brach zögernd
ab. »Du kennst Daddy besser als jeder andere. Er lacht oder lächelt den ganzen Tag und kann sich über die einfachsten Dinge freuen. Selbst mit sechsundfünfzig ist er noch elegant und geradezu umwerfend attraktiv. Er wird von allen, die je das Vergnügen hatten, mit ihm zu arbeiten, geliebt und respektiert - kurzum, das genaue Gegenteil von mir!«
    Sie schob sich den Umschlag unter den Arm, setzte ein, wenn auch wackeliges, Lächeln auf und öffnete die Tür, auf deren Messingschild Michael Copperfield, Vizepräsident zu lesen war. »Bitte richte Tante Cherie meine Grüße aus. Ich rufe dich an, falls …« Trotzig verzog sie das Gesicht. »… wenn ich etwas von meinen Eltern höre.«
    Sobald die Tür ins Schloss fiel, kehrte Cop hinter seinen Schreibtisch zurück, wo er sich, zwischen Lachen und Weinen hin- und hergerissen, in den Sessel sinken ließ. »Du hast mich nicht ausreden lassen, Tabitha«, murmelte er, während er sich die brennenden Augen rieb. »Du erinnerst mich an deinen Vater zu der Zeit, bevor er deiner Mutter begegnete.«
     
    Als sie aus der Dusche trat, griff die tropfende Tabitha Lennox nicht nach dem Handtuch, sondern setzte als Erstes ihre Brille wieder auf. Die meisten ihrer Kollegen und Kolleginnen lachten darüber, dass sie sich eines derart archaischen Hilfsmittels bediente, obgleich seit bereits zehn Jahren Hornhautmodellierung etwas vollkommen Normales war; doch sie zog die kühle Festigkeit des Drahtgestells der Manipulation ihrer Augäpfel durch einen Fremden vor. Außerdem besaß sie in Wirklichkeit noch eine gewisse Sehschärfe. Manchmal dachte sie, dass sie die Brille weniger aus Notwendigkeit denn aus Gewohnheit trug.
    Sie trocknete ihr dichtes Haar, betupfte ihr Gesicht mit Nachtcreme und stieg in den robusten Schlafanzug, den sie
vor Betreten der Dusche über den Handtuchwärmer gehängt hatte. Der warme Flanell hüllte sie wie zwei unsichtbare Arme ein, und ein wohliger Seufzer drang über ihre Lippen, als sie ihre Füße in zwei riesige Streifenhörnchen von Plüschpantoffeln - ihr einziges Zugeständnis an Verrücktheit - schob.
    Nun trottete sie durch das Wohnzimmer des Penthouse in Richtung der Küche und ignorierte bewusst den großen Umschlag, der seit ihrer Rückkehr aus der Firma auf dem Sofa lag.
    Tabitha öffnete die Kühlschranktür, schwankte zwischen einem dank des Zusatzes von Fätt - dem sensationellen neuen Fettersatz - kalorienlosen Fertigmenü und einer Packung Häagen-Daz; nach einigen Sekunden nahm sie die Eiscreme aus dem Fach.
    Was machten ein paar Pfund zu viel schon aus? Ihre weiten Hosen und der Labormantel kaschierten problemlos eine Unzahl von Sünden, und schließlich sähe niemals jemand sie ohne Kleider, oder?
    Als sie einen Teelöffel aus der Schublade mit dem Silberbesteck zog, stupste ein kleiner Wuschelkopf sie an.
    »Hallo, kleine Lucy«, flötete Tabitha, ging in die Hocke und löffelte dem Kätzchen eine Portion Eis in seinen Napf. »Hast du Mammy vermisst, während sie bei der Arbeit war?«
    Die winzige schwarze Katze hatten die Eltern ihr zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt. Aus Furcht, dass Tabitha untröstlich sein würde, wenn der Familienkater Lucifer einmal im hohen Alter stürbe, hatte ihr Vater das Sperma des Katers einfrieren lassen. Seit man das Problem der animalischen Fortpflanzung endlich gelöst hatte, waren Kätzchen aus der Retorte vollkommen normal.
    Immer noch ohne zur Couch hinüberzuschauen, drückte
Tabitha auf einen der Knöpfe in der Wand und entschied sich anhand der digitalisierten Liedauswahl für Nina Simones »I want a Little Sugar in My Bowl«. Die rauchige Stimme zauberte ein zerknirschtes Lächeln auf ihr Gesicht. Sie hatte bereits mehr als nur ein wenig Zucker

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