Wilder als Hass, süsser als Liebe
Was du glaubst, was in der Nacht geschehen ist… ist geschehen«, entgegnete Juliet kaum hörbar.
»Du hast recht, wenn du mich verachtest. Aber wenn du schon den ganzen Weg von England gekommen warst, warum hast du dann nicht versucht, mich zu treffen? Und wenn nur, um mir zu sagen, was du von mir hieltest?«
ROSS stieß sich vom Fenster ab und lehnte schien bebenden Körper an die rauhverputzte Wand. Verzweifelt versuchte er, seine Haltung zu bewahren. Die Antwort war das schwärzeste Stück Selbsterkenntnis, dem er je gegenübergetreten war, und es beschämte ihn. Nichtsdestoweniger antwortete er, denn er wollte, daß Juliet wußte, was sie getan hatte. »Ich bin abgereist, weil ich Angst hatte, daß ich dich umbringen würde …«
Einen endlosen Moment durchdrang nur das Rasseln von Juliets Atmung die vernichtende Stille. Schließlich gestand sie schwach: »Und das ist der Grund, warum ich seit Sere-van Abstand von dir gehalten habe. Ich habe befürchtet, daß all die Mauern und Weigerungen, die es möglich gemacht haben, am Leben zu bleiben, zerstört werden würden. Und genau das ist passiert.«
Sie glitt vom Bett und kniete sich auf den Boden, hob ihr zerknittertes Gewand auf und hielt es sich vor den Körper, während sie mit der anderen Hand die restlichen Kleidungsstücke aufhob. In der Ferne riefen die Muezzins von einem Dutzend verschiedener Minarette zum Gebet. Es war nun hell genug, um Details zu erkennen, obwohl die Gegenstände noch eindimensional und farblos aussahen.
Müde überlegte ROSS, wie es möglich war, von einem Moment zum anderen vom Glück zur Katastrophe zu wechseln. Juliet hatte recht damit, daß die Intimität die Mauern niedergerissen hatte.
Jahrelang hatte er erfolgreich seine Wut unterdrückt, selbst in den vergangenen schwierigen Wochen, in denen er permanent mit seiner Frau zusammengewesen war. Doch auf eine seltsame Art und Weise hatte die Tatsache, daß sie sich geliebt hatten, seine Selbstbeherrschung geschwächt, und nun, da sie losgelassen, war seine Wut nicht mehr aufzuhalten.
Während er sich bemühte zu verstehen, bemerkte er plötzlich, daß Juliet weinte, während sie nach den verstreuten Kleidungsstücken griff. Dir Kummer war um so ergreifender, da er in vollkommener Stille zu Tage trat.
Der Schmerz in ihm verringerte sich nicht, aber er veränderte sich, und so auch seine Wut. Er verfluchte sich innerlich. Er spürte, daß sie sich emotional von ihm entfernte, und er wußte, daß sie bald unwiderruflich fort sein würde. Der Gedanke war unerträglich.
Für eine Sekunde wünschte er sich, sie zu verwunden, sie leiden zu lassen, wie er gelitten hatte, aber damit hätte er sich vor allem selbst Schaden
zugefügt, denn er konnte den Anblick ihrer Qual nicht aus-halten, egal, wie sehr sie seinen Zorn verdient haben mochte. Mit vor Gefühl heiserer Stimme sagte er: »Juliet, es tut mir leid. Ich hätte dich nicht verletzen sollen.«
»Mir tut es auch leid … alles. Ich muß verrückt gewesen sein, zu glauben, daß die Vergangenheit überwunden werden kann. Kannst du dich noch an das Gedicht von Omar Khayyam erinnern?« Sie sah zu ihm hoch, eine letzte Träne löste sich von ihren Wimpern.
»Der Finger bewegt sich, schreibt, hat geschrieben und bewegt sich weiter. Und all deine Frömmigkeit, all dein Verstand, kann ihn nicht dazu bringen, nur eine halbe Zeüe zu löschen, noch werden deine Tränen ein einziges Wort fortwaschen,« Sie schloß die Augen, ihr Gesicht verzerrt vor Qual. »Letzte Nacht wollte ich dir das einzige Geschenk machen, daß in meiner Macht lag. Statt dessen habe ich dich unverzeihlich verletzt - und das nicht zum ersten Mal.«
Rasch durchquerte er den Raum und kniete sich neben sie. Die Messerwunde, die er mit rotglühendem Stahl ausgebrannt hatte, war nur noch eine stumpfe, fast abgeheilte Linie um ihren Oberarm herum. Es war eine Erinnerung daran, daß es nirgendwo auf der Welt jemand wie Juliet gab. Er wählte seine Worte mit Bedacht, als er sagte: »Ich kann nicht behaupten, daß die Vergangenheit nicht zählt, denn sie tut es, und zwar enorm. Aber das war damals. Und nun ist heute.«
»Die Vergangenheit ist heute, denn wir sind, was unsere Taten aus uns gemacht haben. Die letzte Nacht war ein Fehler, denn ich glaube nicht, daß wir das Vergnügen ohne den Schmerz bekommen können.« Von ihrer Schuld verzehrt, war Juliet nicht in der Lage, seinem Blick zu begegnen. Es lag unerträgliche Ironie in der Tatsache, daß ROSS ihr
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