Wilder als Hass, süsser als Liebe
unverschlossen, wie sie sein sollte. Doch damit hatte sich ihr Glück auch schon erschöpft. Noch als ROSS die Tür hinter ihnen zuzog, hörten sie bereits, wie sich auf dem Grundstück aufgeregte Stimmen erhoben. Man hatte den bewußtlosen Offizier schon gefunden.
Juliet fluchte innerlich. Wenn Shahid erwachte, würde es nicht lange dauern, bis er begriff, was geschehen war, und die Jagd war eröffnet. Dennoch würde wahrscheinlich nicht vor morgen früh Alarm gegeben werden, also sollte ihr Plan im Schwarzen Brunnen auch weiterhin möglich sein.
Die Straßen draußen waren ruhig, denn die Trommeln des Königs hatten bereits die Sperrstunde verkündet. Jeder, der ausging, war dazu angehalten, eine Laterne zu tragen. Da Patrouillen auf die Einhaltung des Gesetzes achteten, hielten ROSS und Juliet sich in den Schatten und konnten nur hoffen, daß niemand sie sah und sich später an sie erinnerte.
Juliet führte, denn sie hatte in den letzten Wochen das Labyrinth der Gassen sorgfältig studiert. Eine Viertelstunde raschen Marsches brachte sie zu dem kleinen Basar, der nun wie ausgestorben dalag. Murad wartete bereits mit vier Pferden dort.
Er machte einen erschreckten Satz, als Juliet sich neben ihm aus den Schatten löste, dann musterte er die Neuankömmlinge mit Anerkennung. »Sehr gut, Lord Kil-burn. Du siehst wirklich wie ein höfischer Beamter aus Buchara aus.«
»Hoffen wir, daß die Gefängniswärter das ebenfalls finden.« ROSS
legte eine Hand auf die Schulter des jungen Persers. »Bist du bereit, dich in die Höhle des Löwen zu wagen? Es kann ziemlich gefährlich werden.«
Murad brachte ein schiefes Lächeln zustande. »Mehr für dich als für mich.«
»Aber ich tue es aus Liebe zu meinem Bruder. Man braucht mehr Mut, um sein Leben für einen Fremden zu riskieren.« ROSS
drückte ihm kurz die Schulter, dann veränderte sich sein Tonfall.
»Nun möchte der Kämmerer des Königs reiten.«
Sie brauchten nur wenige Augenblicke, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Während Murad eine Lampe enthüllte und eine zweite anzündete, wickelte ROSS den dunklen Schal ab, den er bis jetzt über seinem weißen Turban getragen hatte, um unauffälliger durch die Schatten zu schleichen, und auch Juliet nahm ihren Tagelmoust ab. Sie trug darunter ebenfalls einen weißen Turban.
Nachdem sie die Stoffe und das Seil in den Satteltaschen verstaut hatten, saßen sie auf und ritten die letzte halbe Meile zum Gefängnis, welches als massives Gebäude mit hohen Mauern hinter dem Palast aufragte. Nun war es aus mit den Heimlichkeiten - jetzt würden sie nur Frechheit und drohendes Auftreten zum Erfolg bringen.
Der Eingang zum Gefängnis war mit einem schweren Tor verschlossen, in das eine kleinere Tür eingelassen war. Als ihre Gruppe sie erreichte, zog ROSS die Pistole heraus und hämmerte mit dem Lauf gegen das Holz.
Eine Stimme erklang aus dem Wachhäuschen: »Wer ist da?«
ROSS holte tief Atem. Nun gab es kein Zurück mehr. In Usbekisch antwortete er: »Saadi Khan mit Befehlen des Emir.«
»Saadi Khan?« fragte die Wache zweifelnd nach.
»Ich bin ein makhram, ein königlicher Kämmerer, Narr. Laß mich ein!«
Der Befehlston zog, und die Wache signalisierte einem seiner Kumpanen, die Tür zu öffnen. Sie war gerade groß genug, um einen Mann auf einem Pferd hindurchzulassen. ROSS
trabte in den Hof, gefolgt von Murad und Juliet, die das vierte Pferd führte.
Sobald sie drinnen waren, befahl ROSS: »Bringt mich zum wachhabenden Offizier.«
»Ja, Herr«, antwortete der Soldat mit dem höchsten Rang, der in etwa mit einem Corpora! zu vergleichen war. Er geleitete die Neuankömmlinge zum Hauptgebäude.
Dort stiegen Murad und ROSS ab und ließen Juliet mit den Pferden zurück. Ihr Turban und der Schnurrbart würden sie im dunklen Hof als jungen Mann durchgehen lassen.
Mit einer Arroganz, die er Shahid Mahmud abgeguckt hatte, schritt ROSS, gefolgt von Murad, die Treppe hinauf. Der Soldat übergab sie einem anderen Wachmann, der die Besucher in die Kammer des befehlshabenden Offiziers führte.
Dieser sah auf, als sie eintraten, und musterte sie mit einem herablassenden Blick. Wenn Hafiz’ Informationen stimmten, so war der Mann auf dem Posten neu und würde wahrscheinlich nicht bemerken, daß ROSS kein echter Offizieller aus dem Palast war. Außerdem war er der Typ, der seine Untergebenen triezte und vor Höhergestellten buckelte, was ihn zu einem idealen Kandidaten für Drohungen machte.
Der Offizier strich
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