Wilder als Hass, süsser als Liebe
herausgezogen. Jetzt begann er mit gefühlloser Miene und ruhiger Hand über die Schlucht zu feuern. lan verbarg sich hinter den gleichen Felsen wie Juliet, und während sie das Gewehr aus ihrer Satteltasche zerrte, bemerkte er: »Gott sei Dank sind es verdammt schlechte Schützen!«
Juliet nahm an, daß der Wind, der durch die Schlucht fuhr, sie wahrscheinlich gerettet hatte, denn er war kräftig genug, um einen Schuß aus dieser Entfernung ablenken zu können.
Dennoch waren die Angreifer doch nicht so erfolglos gewesen, denn ein Schuß hatte Murad getroffen. Er war es gewesen, der den Schrei ausgestoßen hatte, bevor er vom Pferd gestürzt und einige Meter den Pfad hinuntergekugelt war. Nun lag er bewußtlos, einer seiner Ärmel blutdurchtränkt, an einer Stelle, die viel zu ungeschützt war, als daß ihm einer seiner Kameraden zur Hilfe eilen konnte.
Fluchend blickte Juliet vorsichtig zwischen zwei Felsen hindurch und suchte die gegenüberliegende Hügelkette ab.
Hitze flirrte von den nackten Felsen und verzerrte die Luft, so daß es schwierig war, die Entfernung einzuschätzen. Einer der Angreifer feuerte erneut, und die Wolke schwarzen Rauchs verriet seine Position, bevor das scharfe Krachen des Schusses durch das Tal hallte. Juliet schloß aus der ersten Salve, daß es sich bei ihren Gegnern um drei bis fünf Mann handeln mußte.
Sie lud nach und suchte angestrengt nach weiteren Zielen, fand aber keine. »Einer steckt bei der krumme Pinien. Hast du die anderen gesehen, ROSS?«
»Zwei hinter dem dunklen Geröll und einer tiefer, etwas links davon.« Er betonte seine Worte mit einem Schuß, dann duckte er sich wieder. »Ich glaube, Shahid Mahmud und seine Spießgesellen haben uns eingeholt.«
Juliet dachte kurz darüber nach. Wahrscheinlich hatte ROSS
recht, denn nur jemand, der sie so sehr haßte und der den Instinkt eines Bluthunds hatte, würde so weit hinter ihnen herjagen und sich nicht einmal durch turkmenische Plünderer aufhalten lassen. Als sie etwas Weißes hinter dem Geröllhaufen aufblitzen sah, feuerte sie sofort, lud nach und feuerte noch einmal etwas weiter zur
Seite, in der Hoffnung, eine abprallende Kugel könnte die Person hinter den Steinen verletzen.
In der kurzen Pause, die folgte, zog sie ihre Pistole heraus und reichte sie mit Munition an lan weiter. »Dumm, daß wir keine Gewehre mehr haben, aber die Pistole könnte dir helfen, wenn sich jemand in deine Nähe
schleicht.«
»Ein Gewehr wäre auch an mir verschwendet, denn ich fürchte, mit nur einem Auge kann ich nicht mehr vernünftig zielen.« Er überprüfte die Ladung und entsicherte dann die Waffe. »Aber die Gegend ist wirklich wie gemacht zum Anschleichen, und ich fühle mich besser, wenn ich eine Pistole in der Hand halte.«
Er hatte recht; das Terrain bestand praktisch nur aus riesigen Felsstücken, so daß eine vorsichtige Person sich praktisch überall bewegen konnte, ohne länger als einen kurzen Augenblick ohne Deckung zu sein. »Im Augenblick stecken wir in einer Sackgasse«, bemerkte Juliet besorgt.
»Wenn wir nicht bald etwas daran ändern, verblutet Murad da unten«, sagte ROSS mit harter Stimme. »Ich habe keine Lust, diesen Kerlen die Initiative zu überlassen. Ich werde da oben zu dem Vorsprung klettern. Von da aus müßte ich einen guten Überblick über die gesamte
Schlucht bekommen.«
Juliet blickte hinter sich auf die Felsen, die in groben Stufen über ihr aufragten. »Ich sorge dafür, daß sie zu beschäftigt sind, um auf dich zu schießen.«
ROSS schenkte ihr ein zärtliches Lächeln, als wären sie in ihrem Schlafzimmer statt in der sonnendurchglühten Felsenschlucht,
»Deine Talente sind wirklich viel nützlicher als die übliche Kunst des Stickens oder Klavierspie-lens.«
Sie hätte fast gelacht. »Denk bloß daran, den Kopf run-l
ter zu halten und wichtige, tieferliegende Körperteile zu schützen.« Sie blickte ihm einen Moment hinterher, wie er den steilen Pfad hinaufkletterte. Sein grüngestreifter Chapan war so staubig, daß er fast mit dem Hintergrund verschmolz, und er bewegte sich unglaublich rasch und fast lautlos. Das waren kaum die üblichen Talente eines englischen Adeligen - in der Hinsicht paßten sie also zuf einander.
Dann wandte Juliet wieder den Kopf und widmete ihre ganze Aufmerksamkeit der gegenüberliegenden Felsseite. Sie war dankbar, daß ihr Hinterlader so schnell nachgeladen und abgefeuert werden konnte, denn so konnten ihre Gegner kaum wissen, daß sie nur von
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