Wilder als Hass, süsser als Liebe
ROSS sagte: »Wir bitten um eure Gastlichkeit, denn der letzte Brunnen war ausgetrocknet, und unsere Pferde sind wundgeritten.«
»Ihr bittet um was?« fragte der edel gekleidete junge Mann, der der Anführer zu sein schien, ungläubig. Offenbar waren sie es eher gewohnt, daß Reisende, die auf sie stießen, sofort in die entgegengesetzte Richtung flohen.
Einen Augenblick hing ihr Schicksal im wackeligen Gleichgewicht zwischen gesellschaftlicher Pflicht und räuberischer Gier. Doch plötzlich sagte ein anderer Turkmene: »Das ist Kilburn, der Ferengi, der Du Assa im Buskaschi besiegt hat!« Er trieb sein Pferd ein Stück näher heran, so daß er besser sehen konnte. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.
Niemals hätte ich geglaubt, daß ein Ungläubiger dabei so gut sein kann.«
Zwei weitere hatten das Spiel ebenfalls gesehen und stimmten nun begeistert zu. Einer war ein Vetter Du Assas, und er beschrieb, wie Dil Assa seinem Gegner nach dem Spiel die Wolfsfellkappe geschenkt hatte.
Und plötzlich löste sich die mißtrauische Menge der Turkmenen in eine lachende, prahlende Gruppe auf. Der Junge, der ihn zuerst erkannt hatte, fragte neugierig: »Ich habe gehört, daß du nach Buchara wolltest, um die Freilassung deines Bruders zu erbitten.
Hat der Emir dir die Bitte
gewährt?«
»Nein, er hat sie verweigert.« ROSS hielt zu einer absichtlichen Dramatisierung der Sache inne. »Nasrullah hat uns keine Chance gegeben, und daher mußten meine Freunde Murad und Jalal« - er nickte in Richtung der beiden - »und ich leider meinen Bruder aus dem Schwarzen Brunnen entführen.«
Die Zuhörer keuchten erstaunt und ungläubig auf, während ROSS
auf lan deutete. »Und hier ist mein Bruder, frisch aus dem Kerker des Emirs.« Mit seinem bandagierten Auge, seinem roten Bart und seiner ungewöhnlichen Größe war lan eine Gestalt, die sogar turkmenische Räuber beeindruk-ken konnte.
Als er gefragt wurde, wie die Rettung gelingen konnte, beschrieb ROSS kurz ihre Maskerade, die gefälschten Dokumente und die Dreistigkeit der Täuschung - eine Geschichte, die die Turkmenen zum Brüllen komisch fanden. Als das Lachen endlich abebbte, sagte ROSS: »Soldaten des Emirs sind hinter uns her, nur noch knapp außer Schußweite. Das ist der zweite Grund, warum wir um eure Hilfe bitten. Sie haben ein Dutzend Gewehre, wir nur zwei.«
Der Anführer, der sich als Subhan vorgestellt hatte, grinste. »Es wird uns ein Vergnügen sein, den legendären Kilburn zu unterstützen.« Er wandte sich zu seinen Kumpanen um. »Wir kommen aus einer Oase und sind bestens versorgt. Wollen vier von euch die Wasserschläuche mit unseren Freunden tauschen?«
Innerhalb zwei Minuten war es getan. Dann fuhr Subhan fort:
»Unser Weg führt in die andere Richtung. Wenn wir auf eure Verfolger stoßen, werden wir sie für ihre Frechheit bestrafen, euch in die Karakum gefolgt zu sein. Die Wüste gehört uns, und niemand darf hindurch, wenn es uns nicht gefällt.« Ein Chor von Zustimmung erhob sich.
»Tausend Dank.« ROSS senkte feierlich den Kopf. »Eure Tapferkeit kommt aus dem Herzen und ist jenseits jeder Bezahlung, aber nichtsdestoweniger möchte ich euch einen kleinen Beweis meiner Dankbarkeit schenken.« Er hatte in seinen Satteltaschen gesucht und einen schweren Lederbeutel herausgefischt, den er nun dem turkmenischen Anführer zuwarf.
»Da ich für euch nicht persönlich ein Fest arrangieren kann, möchte ich, daß ihr das hier nehmt, um eure Großzügigkeit und euren Mut zu feiern und zu ehren.«
Unter Jubelrufen stopfte Subhan den Beutel unter seinen Chapan.
»Wir werden dir zu Ehren Lieder singen und die Nacht durchtanzen«, versprach er. »Und eines Tages werde ich meinen Söhnen berichten, wie ich den legendären Kilburn traf.«
Nach dem letzten Austausch von Höflichkeitsfloskeln trennten sich die zwei Gruppen, Ferengis westwärts, Turkmenen ostwärts.
Eine Viertelstunde später, als Juliet und ihre Freunde hielten, um die Pferde zu tränken, krachten Gewehrschüsse über die sandige Einöde. Alle vier hielten inne, um zu lauschen.
Murad grinste. »Ich hätte nie gedacht, daß ich eines T»-
ges dankbar dafür bin, daß Turkmenen blutrünstige Barbaren sind.«
»Solange sie auf unserer Seite stehen, können sie so blutrünstig sein, wie sie wollen«, bemerkte Juliet. Sie hatte ihrem Pferd genug Wasser gegeben und nahm nun selbst einen Schluck, mit dem sie auch ihre aufgesprungenen Lippen befeuchtete. Als sie wieder aufstieg, dachte
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