Wilder als Hass, süsser als Liebe
vorher sagen, wie sehr er sie liebte. Seltsam, daß am Ende des Lebens so wenig zählte: gewiß keine Besitztümer, kein Wissen oder Stolz. Nur noch Liebe.
In einer Stimme, die den Schock beim Anblick des Gegners nicht verbergen konnte, rief der Bucharer auf der anderen Seite: »Wir akzeptieren deine Bedingungen. Ein anderer ist tot, er heißt Meshedee Tajib. Wir werden seine Leiche auf dem Pfad zurücklassen, damit ihr ihn finden und begraben könnt.«
»So wird es geschehen.« Juliet ließ eine Hand sinken, die andere blieb wie zu einem Segen über ihrem Kopf erhoben.
»Ihr seid tapfere Krieger, und ich wünsche euch eine sichere Heimkehr nach Buchara. Zieht in Frieden.«
»Und Friede sei mit dir, Herrin.« Kurz darauf erklang sich entfernendes Hufgetrappel auf der anderen Seite der Schlucht.
ROSS wollte den Augenblick ausnutzen, um Juliet alles zu sagen, was ihm auf der Seele brannte: daß er es niemals bereuen konnte, sie geheiratet zu haben, egal, wieviel Qual die Ehe ihnen beiden verursacht hatte. Mit immenser Anstrengung streckte er eine Hand aus, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, aber die Bewegung jagte ihm stechende Schmerzen durch seinen Schädel, und einmal mehr wurde es finster um ihn.
Er kam wieder zu Bewußtsein, als geschickte Hände seinen schmerzenden Körper abtasteten. Er erkannte ihre Berührung, öffnete die Augen und flüsterte: »Juliet.« Er wußte nicht, ob er tatsächlich einen Laut hervorgebracht hatte, bis sie sich zu ihm wandte und er die lebhafte Freude auf ihrem Gesicht entdeckte.
Er versuchte, noch etwas hinzuzufügen, aber sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Schscht, Geliebter, spar deine Kraft.«
Er hätte gelacht, wenn er nicht so benebelt gewesen wäre.
»Wofür soll… ein sterbender Mann seine Kraft sparen?«
»0 Himmel, du hast gehört, was ich den Bucharern gesagt habe«, stellte sie reumütig fest. »Ich habe nur behauptet, du seist tödlich verwundet, damit sie auch wirklich verschwinden.« Sie beugte sich vor und strich federleicht mit ihren Lippen über seine Stirn. »Du stirbst nicht, Lieber. Im Gegenteil, du hast erstaunliches Glück gehabt. Shahids Kugel hat nur deine Schädeldecke gestreift und dich von deinem Posten gestoßen, aber die Büsche im Felsen haben deinen Sturz verlangsamt, und du bist auf ziemlich weichem Grund gelandet. Du wirst eine hübsche Sammlung von Prellungen vorweisen können, aber es scheint nichts gebrochen zu sein.«
Er brauchte einen Moment, um seine Gedanken wieder auf eine Fortsetzung der Existenz einzustellen. Dann fragte er:
»Murad?«
»lan meint, die Kugel hätte den Arm glatt durchdrungen, und die Wunde ist sauber. Er hat sich den Kopf kräftig gestoßen, als er vom Pferd stürzte, aber es ist nicht weiter tragisch.«
ROSS atmete erleichtert aus. »Wir haben verdammtes Glück gehabt.«
»Allerdings, aber nun müssen wir nach Serevan. Meinst du, du kommst mit meiner Hilfe runter zu den Pferden?«
»Wir werden sehen.« Mit Juliets beträchtlicher Unterstützung schaffte ROSS es tatsächlich, sich aufzusetzen. Danach verschwamm alles zu einem Chaos aus Schmerz, Verwirrung und schwindendem Bewußtsein. Seine klarste Wahrnehmung war die, daß er auf einem trabenden
Pferd geführt wurde, was ihm ein starkes Dejä-vu-Erleb-nis verschaffte. Ja, das war schon einmal geschehen, als er mit Mikhal unterwegs gewesen war. Er hatte es langsam verdammt satt, angeschossen zu werden und danach wie ein Sack Kartoffeln herumtransportiert zu werden.
Dann beschloß er, daß es wirklich praktischer wäre, sich der Finsternis zu überlassen. Und so tat er es.
Als er das nächste Mal zu Bewußtsein kam, war sein Kopf sehr klar, und er fühlte sich gründlich ausgeruht. Abgesehen von dem Pochen an einer Seite des Schädels, ging es ihm gut.
Versuchsweise spannte und entspannte er verschiedene Muskeln in seinem Körper und stellte fest, daß praktisch jeder von dem Sturz weh tat, aber nichts ernsthaft beschädigt war.
Nachdem er die Augen geöffnet hatte, sah er, daß das Zimmer in das weiche, reine Licht des frühen Morgens getaucht war. Er lag wahrscheinlich in Serevan, und nach den wundervoll gemusterten, antiken Teppichen zu schließen, die an den weißgetünchten Wänden hingen, handelte es sich um Juliets eigenes Schlafzimmer.
Und da es so war, überraschte es ihn auch nicht sonderlich, als er nun erst bemerkte, daß er nicht allein war. Er wandte den Kopf und fand Juliet neben sich schlafend, eine Hand unter seinen Arm
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