Wilder als Hass, süsser als Liebe
uns gegenseitig zugefügt haben. Bleib noch ein wenig länger in Serevan, bis die Erlebnisse der letzten beiden Monate ein wenig verblassen können. Dann kannst du gehen, ohne daß es weh tut.«
»Du verlangst nicht gerade viel, nicht wahr?« Müde berührte er den Verband an seinem Kopf. »Ich erwarte nicht, daß meine Liebe zu dir verblaßt. Trotz allem, was geschehen ist, ist sie in zwölf Jahren nicht schwächer geworden. Und obwohl ich es vernünftig finde, uns gütlich zu einigen, anstatt uns in Stücke zu reißen, kann ich unmöglich mit dir schlafen, wenn ich weiß, daß es das letzte Mal ist. Es war hart genug heute morgen, als ich noch ein wenig Hoffnung hatte, aber jetzt ist es unmöglich.« Er lächelte freudlos.
»Offenbar arbeitet mein Selbstschutzprogramm noch. Ich habe meinen Anteil an schwierigen und gefährlichen Aufgaben bereits hinter mir, ich möchte nicht, daß du mein Herz zerbrichst und dann noch darauf herumtrampelst.«
Ein eiskalter Schauder lief durch Juliet, und sie begann erneut zu zittern. Also war das Ende gekommen.
ROSS stand auf und zog sie an einer Hand auf die Füße. Dann küßte er einmal zärtlich ihre Finger, bevor er sie losließ. »Ich schlafe in dem Zimmer, das du mir bei meinem ersten Besuch gegeben hast. Wenn du mir eine Eskorte mitgibst, reise ich morgen früh nach Teheran ab. Je eher wir einen Schlußstrich ziehen, desto besser.«
Sie biß sich auf die Lippen, um nicht zu weinen, nickte aber zustimmend.
ROSS drehte sich um und ging durch den Raum, seine Schritte lautlos auf den dicken Teppichen. Sie beobachtete seinen Rückzug und speicherte jedes Detail. Seine Grö-
ße und seinen geschmeidigen, ausgreifenden Gang; die] Art, wie der braune Chapan von seinen breiten Schultern floß; die goldenen Wellen seines Haares, das dringend einen Schnitt brauchte und schon fast auf seine Schultern reichte.
Dann fiel die Tür hinter ihm zu.
Es war vorüber.
Kapitel 27
JULIET WUSSTE NICHT, wie lange sie schon auf dem Diwan saß und blicklos durch den Raum starrte. Das Wissen, daß sie all die harten Worte verdient hatte, die er ihr gesagt hatte, machte es nicht erträglicher. Es war seltsam, wie viele Arten von Elend nebeneinander existieren konnten. Und noch seltsamer, daß es inmitten von all dem Schmerz, den sie in ihrem Inneren verspürte, noch Platz gab, um eine ganz persönliche Demütigung über seine Zurückweisung für diese Nacht zu empfinden.
Plötzlich hatte Juliet das Gefühl, ersticken zu müssen, wenn sie noch einen Augenblick länger in dem Zimmer blieb. Nachdem sie in ihre Sandalen geschlüpft war, eilte sie hinaus und überquerte den großen Innenhof, dann kletterte sie auf die massive Mauer, die die Festung umgab. Wie eine mittelalterliche europäische Burg war die Mauer breit genug, daß mehrere Personen gleichzeitig darauf herumlaufen konnten.
Es war spät, und ganz Serevan schlief, bis auf die Handvoll Wachen in den Ausgucken. Juliet genoß die Kühle der Brise und die Weite um sich herum. Die Szene war wunderschön, das wächserne Mondlicht versilberte die zerklüfteten Berge, aber es war nicht hell genug, um die dunkle Nacht der Seele auszulöschen.
Von der Westseite der Festung konnte sie die Berge zur Karakum abfallen sehen, deren Sand in Richtung Buchara trieb. Verzweifelt wandte sie sich um, um nicht daran erinnert zu werden, was alles geschehen war, seit sie das letzte Mal auf diesen Mauern spaziert war.
Als sie weiterging, entdeckte sie, daß noch jemand die Stille der Nacht ausnutzte. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie einen Augenblick glaubte, es wäre ROSS. Doch dann drehte sich die Gestalt um, und sie erkannte erleichtert, daß es sich um lan handelte.
In der Woche seit seiner Rettung aus dem Kerker hatten sie beide kaum miteinander gesprochen, und nicht nur deswegen, weil die kräfteaufreibende Flucht durch die glühende Hitze der Wüste eine Unterhaltung nicht besonders verführerisch gemacht hatte. Die Gefangenschaft schien ihren Bruder auf eine grundlegende Art verändert zu haben. Er verhielt sich so in sich gekehrt, daß es schwierig war, an ihn heranzukommen.
In Anbetracht der Dinge, die er hatte erleiden müssen, war das sicher nicht weiter überraschend, aber dennoch war er für sie fast wie ein Fremder, und sie wußte nicht genau, wie sie mit ihm umgehen sollte.
Das letzte, was Juliet sich wünschte, war Gesellschaft, aber da er sie bereits entdeckt hatte, konnte sie sich schlecht davonmachen. Mit einigem Widerwillen ging
Weitere Kostenlose Bücher